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Schluss mit lustig

In «Sonntagsblick Magazin», Kultur on 4. März 2018 at 10:43
Der Teufel in Babygestalt, Zombies und ein Angriff aufs Unterbewusstsein. 1968 gilt als Meilenstein des Hollywoodfilms und bringt eine neue Art von Blockbuster in die Kinos.

 

Es ist das Jahr, als die Leitung des Filmfestivals in Cannes (F) den Wettbewerb aus Solidarität mit den Studenten der Pariser Maiunruhen abbricht. 1968 schüttelt nicht nur die Gesellschaft durch, auch die Unterhaltungsindustrie verändert sich.

Zuvor geht der Durchschnittsbürger ins Kino, um abzuschalten und sich einen Agententhriller, eine seichte Romanze oder Komödie anzuschauen. Jetzt ist das Publikum plötzlich mit einer neuen Art von Film konfrontiert, der erschreckend realistisch wirkt. Geschichten und Schauplätze sind plötzlich echt und nicht mehr frei erfunden. Das Hier und Jetzt kommt ins Kino.

In Polanskis «Rosemary’s Baby» bringt eine New Yorkerin das Böse in einem Wohnblock in Manhattan zur Welt, «Planet of the Apes» spielt mit der Angst der Menschen vor den Folgen eines Nuklearkriegs. Und «2001: A Space Odyssey», der erfolgreichste Film von 1968, stellt ihnen existenzielle Fragen.

Er habe versucht, ein visuelles Erlebnis zu schaffen, das direkt zum Unterbewusstsein durchdringt, sagt Stanley Kubrick über seinen Film, der bei Kritikern als bester aller Zeiten gilt.

Schöne Maschinen, böse Maschinen

Nicht zuletzt dank dem Look des Streifens. Ein Jahr bevor Neil Armstrong als erster Mensch den Mond betritt, fühlt sich Weltraum fürs Kinopublikum erstmals echt an. Anstelle von billig gemachten Laserschlachten kreiert Kubrick eine Scheinrealität im luftleeren Raum, die Designliebhabern noch 50 Jahre später Tränen in die Augen schiessen lässt.

56,7 Millionen Dollar spielt «2001» ein und bringt mit Science-Fiction ein Genre in den Mainstream, das zuvor als Schund gegolten hat. Regisseure zitieren die unterkühlte Ästhetik von «2001» bis heute, zum Beispiel Ridley Scott in «Prometheus» oder Christopher Nolan in «Interstellar». Bei Kubrick seien sogar die Maschinen schön, schreibt ein begeisterter Kritiker in der «Weltwoche» von 1968.

Das Space-Age macht sich damals auch in den Wohnungseinrichtungen bemerkbar. Der finnische Designer Eero Aarnio bringt seinen Bubble Chair auf den Markt – eine von der Decke hängende Plastikkugel, die an den Helm eines Astronauten erinnert. Der Stuhl ist heute ein Klassiker.

Der Horror kommt zu den Menschen nach Hause

Während Horrorfilme vor 1968 an sagenumworbenen Orten wie Transsilvanien spielen, nehmen sie sich jetzt den Alltag der Kinozuschauer vor. In «Night of the Living Dead» kommt er sogar zu ihnen nach Hause.

Die Blutorgie des kürzlich verstorbenen Regisseurs George Romero steht neben Science-Fiction für ein weiteres Genre, das 1968 von der Bin die A-Liga aufsteigt. Der Film gilt als Mutter aller Zombie-Streifen und Kritik am Vietnamkrieg.

Mal symbolisieren die Zombies den Teil der amerikanischen Konsumgesellschaft, die den Taten ihrer Regierung gleichgültig gegenüberstehen und stattdessen lieber in den von McDonald’s neu lancierten Big Mac beissen. Mal stehen die Zombies für die andere Seite: Opfer der Kriegsgräuel, die in Gestalt von Untoten über die US-Mittelschicht herfallen.

Aktuelle Produktionen wie «The Walking Dead» entwickeln das Genre weiter. Die Serie des US-Senders ABC, die im Herbst bereits mit einer neunten Staffel in die nächste Runde geht, fokussiert sich auf die Konflikte zwischen Überlebenden einer Zombie-Apokalypse.

Die Untoten dienen nur noch als Statisten.

Wer sich einem Geschwindigkeitsrausch aussetzen will, sieht sich 1968 «Bullitt» an, in dem Schauspieler Steve McQueen in einem Ford Mustang durch San Francisco donnert. Die berühmte Verfolgungsszene dauert über zehn Minuten, in denen McQueen viermal denselben VW Käfer überholt, seinerzeit das meistverkaufte Auto in der Schweiz.

«Bullitt» gilt als Erfindung des Action-Kinos und der Ford Mustang bis heute als Inbegriff des amerikanischen Musclecars. Zum 50-Jahre-Jubiläum des Films kommt das Kultauto in einer modernen Version auf den Markt mit 475 PS und Achtzylindermotor.

Mehr technische Möglichkeiten, weniger Studio

Was führt dazu, dass sich 1968 Filme plötzlich echter anfühlen als zuvor? «Hollywood lässt sich damals von der europäischen Avantgarde inspirieren», sagt Peter Purtschert (60), Filmwissenschaftler und Dozent an der Zürcher Hochschule der Künste.

Bereits in den späten 1950er-Jahren feiert die neue Filmstilrichtung Nouvelle Vague aus Frankreich in Studiokinos Erfolge. Sie zeichnet sich unter anderem dadurch aus, dass Regisseure an Originalschauplätzen drehen und nicht, wie bis anhin üblich, im Studio. Purtschert: «Es entstanden in der Wirklichkeit verankerte Storys, die Hollywood 1968 mit Hilfe von neuen technischen Möglichkeiten für sich adaptierte.»

Der American Way of Life fasziniert nach wie vor

Wichtige Inhalte sind Rebellion und befreite Sexualität. Weibliche Filmfiguren wie «Barbarella» habe es bereits früher schon gegeben, sagt Peter Purtschert, allerdings seien sie von den Verhältnissen erdrückt worden. «1968 tauchen im Kino Frauen auf, die stark und frei sind.»

In den 60ern steckt der Schweizer Film in der Krise. Dafür fasziniert alles, was aus den USA kommt. «Trotz Präsident Nixons Aussenpolitik ist der American Way of Life mit seinen Symbolen, den Waschmaschinen und grossen Autos 1968 bei weitenTeilen der Bevölkerung positiv behaftet.»

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Version Blick.ch

 

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