
Der Anblick der weiten Ebene wirkt entspannend wie ein tiefer Atemzug. Eingeklemmt zwischen dem Aargau und Baselland liegt hier, im nordöstlichen Zipfel des Kantons Solothurn, die Gemeinde Kienberg. Auf einem der nahen Hügel steht der Aktivstall Gubler, eine der modernsten Anlagen für Pferde (siehe Box). Regelmässig nehmen Frauen aus der ganzen Schweiz den Weg hierhin auf sich, um nach ihren Pferden zu sehen.
«Mit dem Bau des Stalls ging für mich ein grosser Traum in Erfüllung», sagt Stallleiterin Jasmin Gubler. Die 35-Jährige wirkt jugendlich und rundum glücklich. Sie stammt aus einer Zürcher Arbeiterfamilie und wollte schon als kleines Mädchen reiten, doch die Eltern konnten es sich nicht leisten. «Das Geld hat knapp fürs ‹Wendy›-Abo gereicht. Mein Zimmer war mit Pferdepostern zugepflastert.»
Gubler begleitete damals regelmässig ihre beste Freundin zum Reitunterricht. «Einmal war sie krank – ich hatte meine erste Stunde.» Später in der Konditor-Confiseur-Lehre arbeitete sie nebenher für den Fussballklub GC – und investierte ihren Lohn bis zum letzten Rappen in ihr Hobby, die Reiterei. Gubler verliebte sich in einen Landwirt, mit dem sie heute drei Söhne hat und auf dem Bauernhof in Kienberg lebt. An diesen ist ihr Stall angegliedert.
Jeden Sonntag wuseln Frauen durch den Stall, die ihre Rösser striegeln, ihnen die Mähne bürsten und den Schweif mit speziellen Conditionern einsprühen. Fünfzehn Pferdefans – vierzehn sind weiblich – haben ihre Tiere hier eingemietet und zahlen rund 650 Franken pro Monat. Wohlhabend sind die wenigsten, sie verzichten auf manch anderes. «Für meinen Hengst Eros bezahle ich mehr Miete als für mein WG-Zimmer», sagt eine der Stallgenossinnen.
Frisch gestylt haut die Stute ab ins Schlammbad
Besonders eitel sind die Pferdebesitzerinnen nicht. Vor der Kamera unseres Fotografen sollen andere glänzen: ihre Tiere. Vereint sitzen die Frauen auf den Gattern und quatschen. Jasmin Gublers Mazedonierstute Mary sorgt für Gelächter. Die Besitzerin hat sie frisch gestylt, dann entschliesst sich das Tier aber, ein Schlammbad zu nehmen. «Das hat sie absichtlich gemacht», sagt eine der Frauen und erklärt die Verhaltensweisen von weiblichen, kastrierten und unkastrierten Pferden: «Mit Stuten muss man diskutieren, Wallache muss man fragen und Hengste bitten.»
Anhängerinnen des Reitsports nennt man Pferdefrauen – und sie haben ein Imageproblem. Verwöhnte Prinzessin, asoziale Einzelgängerin, verbissenes Mannsweib, die Stereotypen sind mannigfaltig und nicht sonderlich schmeichelhaft. Jüngst hat die deutsche Bestsellerautorin Juli Zeh (42) der Pferdefrau neue Aufmerksamkeit beschert. In ihrem Roman «Unterleuten» charakterisiert sie eine manipulative Dorfbewohnerin, die für ihren geliebten Hengst Bergamotte über Leichen geht. Recherchiert hat Zeh – selbst eine passionierte Reiterin – offenbar im Internet. Unter anderem bei Harriet Jensen (25). Die erfolgreichste deutsche Pferdebloggerin listet dort zehn Dinge auf, deren sich Liebespartner von Pferdefrauen bewusst sein müssen.
Die Quintessenz für Männer: Deine Partnerin liebt das Tier mehr als dich. Wenn du nicht wenigstens versuchst, etwas Interesse vorzutäuschen, hast du verloren. Sieh zu, dass du mit ihren Freundinnen aus dem Stall gut auskommst, und gewöhn dich daran, dass es so wie dort auch in eurer gemeinsamen Wohnung riecht.
150 000 Pferdefreunde frönen ihrem teuren Hobby
Die Faszination für Pferde ist grösser, als viele vermuten, und das, obwohl fast kein Hobby mehr kostet als Reiten. Trotzdem ist es laut einer Studie des Bundesamtes für Sport aus dem Jahr 2014 beliebter als Unihockey, Basketball oder Squash. Rund 150 000 Menschen üben landesweit irgendeine Aktivität mit oder auf einem Pferd aus. 85 Prozent davon sind Frauen.
Steht das Pferd nun bei Pferdefrauen wirklich immer an erster Stelle? Auf die Frage herrscht in Kienberg erst mal Stille, verstohlene Blicke werden ausgetauscht, eine kichert. Dann meldet sich Larissa Bürki zu Wort, eine 28-Jährige mit modischer Hornbrille. «Wenn beide in Not wären, mein Freund und meine 23-jährige Haflingerstute Winka, dann würde ich mich schon zuerst um ihn kümmern», sagt sie und relativiert: «Menschen können sich aber meistens selbst helfen.»
Pferdefrei ist nur gerade der Samstag
Vier Stunden wendet die Zürcherin täglich für ihr Hobby auf, zwei Stunden dauern allein die Hin- und Rückfahrt. Einzig am Samstag macht sie Pause. Um nicht in Zeitnot zu geraten, hat Bürki ihr Arbeitspensum reduziert. «Mein Freund findet meine Abwesenheiten nicht immer so toll», sagt sie. «Aber er wusste von Anfang an, worauf er sich einlässt. Wir sind seit zwölf Jahren zusammen, Winka habe ich seit fünfzehn Jahren.»
Die Ernährungstherapeutin entspricht am ehesten der gängigen romantischen Vorstellung des Pferdemädchens. Auf den Fotos ihres Facebook-Profils posiert Bürki in weissen Hippie-Kleidern und mit Lederbändern im Haar. Immer an ihrer Seite: Winka. Mensch und Tier in trauter Zweisamkeit. Sogar die Haarfarbe der beiden ist identisch.
«Wir sind beste Freundinnen», sagt Bürki über ihr Tier. «Sie tröstet mich über manches hinweg.» Winka war ein Geschenk ihres Grossvaters. Als er starb, habe ihr das Pferd Kraft gegeben. «Sie ist in solchen Momenten sehr anhänglich und eine gute Zuhörerin.» Später ein anderes Pferd zu besitzen, könne sie sich nicht vorstellen. «Doch sag niemals nie.»
Eine Stallfreundin erzählt von telepathieähnlichen Momenten zwischen ihr und ihrer Stute. «Ich spüre, wenn mit dem Tier etwas nicht stimmt, auch wenn ich zu Hause auf dem Sofa sitze.»
Wie ist sie wissenschaftlich zu erklären, die weibliche Begeisterung fürs Pferd? Studien orten den Ursprung in der Kindheit und Jugend. Die meistbeachtete veröffentlichte der deutsche Psychologe Harald Euler (73) in den 1990er-Jahren. Er stellt ein sogenanntes Bindungsphänomen ins Zentrum. Gemäss dieser Theorie sollen Mädchen in ihrem Pferd einen Partner sehen, der stärker ist als sie, seine Kraft aber nicht gegen sie verwendet. Die moderne Gender-Forschung deutet die Welt des Reitens wiederum als Gegenentwurf zum geregelten Alltag. Ausserhalb des Stalls trimmt man junge Frauen vor allem darauf, sauber und adrett zu sein. Drinnen dürfen sie anpacken und dreckeln.
«Wir können nicht für die Allgemeinheit sprechen», sagen die Kienberger Pferdefrauen. Doch bei ihnen gehe es in erster Linie um die Beziehungspflege mit dem Pferd. Wie die meisten Freizeitreiter gehören sie keinem Verein an und nehmen an keinerlei Wettbewerben teil, weder an Springen noch an Dressurprüfungen.
«Natürlich reiten wir gerne aus», sagt Sarah Scheuren (28). «Doch Aktivitäten sind nicht das Wichtigste. Ich will meinem Pferd ja nicht das Gefühl geben, dass ich jedes Mal etwas von ihm verlange, wenn ich es besuche.»
Dominanz der Männer im Wettkampf
Die Aargauerin sticht mit ihrem trotzigen Charme aus der Gruppe heraus. Sie hat rote Backen, arbeitet als Stellvertreterin im Verkauf. Lässig steht sie im Matsch, in einer Hand eine Zigarette, in der anderen die Zügel von Stute Mara. Die Frauen sind sich einig: Männer seien im Wettkampf-Reitsport dominanter, weil es dort um Leistung gehe. Scheuren: «Eine persönliche Beziehung zu einem Pferd aufzubauen, gelingt ihnen aber weniger gut.»
Darüber hinaus wollten Männer eher etwas zusammen erleben, Sport treiben, feiern gehen, Frauen mehr die Freundschaft zelebrieren: Einfach ein paar Stunden abquatschen am Küchentisch. «Ich war früher längst nicht so selbstbewusst wie heute», sagt Scheuren, kurz bevor sie nach Hause geht. Ihr Pferd habe ihr zu verstehen gegeben, dass es ihr nicht vertraue, wenn sie unsicher sei. «Das gefällt mir an dem Tier: Es ist einfach gestrickt und lehrt mich trotzdem viel.»
Auch wenn viele Reiterinnen das Gefühl haben, ihr Pferd sei auf sie angewiesen. Es ist wohl eher umgekehrt.
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