
Draussen herrscht Einfamilienhaus-Idylle, drinnen nüchterne Wohnatmosphäre. Wir sind zu Besuch in Mumpf AG bei Tommy Fink (47), Co-Chef des Schweizer Depeche–Mode-Fanclubs. Mit 14 Jahren hörte er zum ersten Mal einen ihrer Song im Radio – seither ist es um ihn geschehen.
Frontmann Dave Gahan sang damals in jugendlicher Naivität von sinnlosen Kriegen und der Gleichheit aller Menschen: «People Are People», hiess die Friedenshymne. Im Video sieht Gahan (54), der in den 1990er-Jahren nur knapp dem Drogentod entkam, noch aus wie ein eingeschüchterter Schuljunge. Er war 21 Jahre alt.
«Depeche Mode sind der Soundtrack meines Lebens «, sagt Fink. Er arbeitet als Servicetechniker im Aussendienst bei einer Firma für Wärme- und Energiekostenabrechnung. In seiner Freizeit wandert er, liebt Eishockey und Reisen nach Kanada. Doch steht ein «Depeche–Mode-Jahr» an, hat er dafür kaum mehr Zeit. Dann organisiert er schweizweit Themenpartys, Busfahrten zu Konzerten in Genf, Mailand oder München. Und bewirtschaftet mit zwei Aargauer Freunden intensiv die gemeinsame Fanseite Depechemode.ch.
Erwachsene, die zehn Stunden vor dem Stadion anstehen
Eines dieser «Depeche–Mode-Jahre» beginnt jetzt. Die Band veröffentlicht am 17. März ihr 14. Studioalbum «Spirit». Nach vier Jahren Pause. Die anschliessende Tour führt sie am 18. Juni ins Letzigrund Stadion nach Zürich. Läuft es wie bisher, wird «Spirit» in der Schweiz, Deutschland und Österreich direkt auf Platz Eins der Hitparade stürmen – und sich dort ein bis zwei Wochen halten. So lange dauert es, bis alle Fans das Album gekauft haben. Sie sind treu und zahlreich. «Rund 500 gehören in der Schweiz zum harten Kern», sagt Fink, «mehrere Tausend zu den normal Begeisterten.»
Fliegt er mit anderen Anhängern zu Konzerten ins Ausland, oft nach Nizza, dann besetzt die Truppe schon mal eine halbe Easyjet-Maschine. Die extremsten fahren vom Flughafen direkt zum Stadion, wo sie vor verschlossenen Toren bis zu zehn Stunden warten, damit sie in die erste Reihe kommen. Keine Teenager, wohl gemerkt, sondern Erwachsene im Alter von 40 Jahren aufwärts. Viele stammen aus Finks Umgebung: «Der Aargau ist eineDepeche–Mode-Hochburg».
In Finks Wohnzimmer hängen ein paar Poster und signierte Alben seiner Helden, an der Wand steht ein schwarzes CD-Regal mit der kompletten Diskografie und seltenen Live-Aufnahmen. Alles sehr unspektakulär. «Fan-Sein ist nicht zwingend materiell motiviert», sagt Fink, «ich will lieber etwas erleben.»
Seit seinem ersten Konzert im Basler St.-Jakob-Stadion im Jahr 1984 hat er seine Lieblingsband schon über 50 Mal auf der Bühne gesehen.
Auch in Basildon, der Heimatstadt aller aktueller Depeche–Mode-Musiker im Osten Englands, war er schon. «Die Stadt ist gar nicht so hässlich, wie alle sagen.»
Er sei nicht einer, der mega aus sich herausgehe, sagt Fink. Doch sein Hobby verbindet, er nimmt überall auf der Welt Kontakt zu Gleichgesinnten auf. So hat er auch seine heutige Freundin kennengelernt. «Ich kann aber auch mit jemandem zusammen sein, der Depeche Mode nicht mag. Es geht schon.»
Was macht denn nun die Faszination dieser Band aus? «Die Atmosphäre der Songs», sagt Fink. «Sie sind unterkühlt und gefühlvoll zugleich.» Als eingefleischter Fan schlägt sein Herz weniger für Pop-Hits wie «Enjoy the Silence» oder «Just Can’t Get Enough», sondern für die experimentellen Klänge, mit denen Dave Gahan und seine Jungs Mitte der 1980er den musikalischen Kinderschuhen entstiegen.
Das Spiel mit sexuellen Codes provoziert
Auch optisch ging damals einiges: Martin Gore (55), Gitarrist, Sänger und Songschreiber des Trios, trug plötzlich Sado-Maso-Geschirr über seinem nackten Oberkörper und war geschminkt. «Ist der schwul?», fragten sich verstörte Eltern. Dave Gahan zuckte in knallengen, weis-sen Jeans auf der Bühne herum und prägte einen Tanzstil, den Fans noch heute an sogenannten Dave-Dancing-Wettbewerben imitieren. Das Spiel mit sexuellen Codes – eine Provokation, die man vorher so nicht gekannt hatte. Nicht umsonst nennen Schock-Rocker wie Marilyn Manson (48) oder Till Lindemann (54) von Rammstein Depeche Mode als grosse Vorbilder.
Songs wie «Blasphemous Rumours» (gotteslästerliche Gerüchte) seien für ihn Kunst, sagt Fink. «Weil sie zu hundert Prozent aus Samples bestehen.» Gemeint sind Soundschnipsel, zum Beispiel das Geräusch eines Feuerzeugs, das aufgenommen und elektronisch zu rhythmischen Klängen verarbeitet wird. In Finks Lieblingssong schleift und klopft es wie in einer Autofabrik, die Oboe klingt so künstlich wie aus einem Game Boy. Depeche Mode waren – neben den Pet Shop Boys – eine der erste Bands, die mit der Sampling-Technik die Hitparade eroberte und eine neue musikalische Spielart massentauglich machte: den Synthie-Pop. Er kam ohne «richtige» Instrumente aus. Auch das eine Sensation.
Die coolen Eighties-Fans hören nicht Duran Duran
Heute steht an Konzerten ein Schlagzeug auf der Bühne. Die Pophat sich zur Rockband gewandelt, die noch immer an ihren sperrigen, depressiv gefärbten Klangbildern festhält. Fink: «Wir Fans definieren uns eben gerade darüber, dass wir etwas anderes hören als der Durchschnitt.»
Die Band gefällt vor allem jenen, die sich gerne ab und zu ein wenig als Aussenseiter fühlen – und sie scheint ironischerweise gerade deswegen nie aus der Mode zu kommen. Während Duran Duran, eine andere grosse Popband der 1980er-Jahre, heute mit seichtem Feelgood-Sound in kleinen Lokalen auftreten, bespielen Depeche Mode noch immer grosse Hallen.
«Früher wollte ich abgebrüht rüberkommen, so wie Dave Gahan», sagt Fink. Das Haar war voller Gel, er trug Sonnenbrille und Lederjacke und lachte möglichst wenig. So wie auf dem Porträt unseres Fotografen. «Im Alltag versuche ich heute nicht mehr, cool zu sein. Das heisst aber nicht, dass ich es nicht manchmal gerne wäre.»
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