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Die Krönung

In «Sonntagsblick Magazin», Kultur on 30. Oktober 2016 at 09:52

bild_crownEs ist die teuerste Serie aller Zeiten – und eine der besten. «The Crown» porträtiert Elizabeth II in ihren ersten Jahren als britische Königin.

Die Serie beginnt mit einem kotzenden König. Es ist King George VI, der Blut ins WC erbricht. Er hat Lungenkrebs und ist todkrank – bald wird seine Tochter den Thron besteigen.

Queen Elizabeth II ist die Hauptfigur in «The Crown», der neuen Serie des US-amerikanischen Streamingdienstes Netflix. Sie handelt von deren Anfangszeiten als Königin. Die heute 90-jährige Blaublüterin war damals noch grün hinter den Ohren. Inzwischen ist sie die am längsten regierende Monarchin des Vereinigten Königreichs – und seit dem Tod des thailändischen Königs Bhumibol (1927–2016) zurzeit sogar weltweit.

Schon wieder ein cineastisches Porträt einer britischen Ikone, werden Sie denken. Margaret Thatcher, Prinzessin Diana – alle kamen vor nicht allzu langer Zeit in Filmen zu Ehren. Vor zehn Jahren gewann Helen Mirren (71) für ihre Verkörperung von Elizabeth II in «The Queen» sogar einen Oscar. Intimer als im Meisterwerk von Regisseur Stephen Frears (75) war ein Royal zuvor noch nie porträtiert worden. Mit «The Crown» (ab 4. November) ändert sich das. Es ist mit zwölf Millionen Franken Kosten pro Folge nicht nur die teuerste, sondern auch eine der am liebevollsten gemachten Serien aller Zeiten.

Kreiert hat sie Peter Morgan (53), der schon das Drehbuch von «The Queen» schrieb. Gedreht hat Stephen Daldry (56), Regisseur von «Billy Elliot». Die Titelmelodie stammt von Oscarpreisträger Hans Zimmer (59), bekannt durch seine Arbeiten für «Independence Day» oder «Gladiator».

Hochkarätig ist auch die Ausstattung von «The Crown»: Bis zu hundert Personen auf einmal arbeiteten allein im Kostümteam. Sie stellten 350 Kleider her und statteten 7000 Statisten mit je drei bis fünf Outfits aus. Angeblich kostete die Kopie des königlichen Hochzeitskleids mehr als das Original.

Blaue Kulleraugen, minimalistische Mimik

«The Crown» setzt 1947 ein – das Jahr, in dem Prinzessin Elizabeth trotz Einwänden ihrer Familie Prince Philip (heute 95) heiratet. Wir befinden uns in der Nachkriegszeit. England erholt sich nur langsam vom Kampf gegen Nazideutschland, die Menschheit befindet sich, wie Premierminister Churchill es in der Serie formuliert, «am Rande der Katastrophe».

1952 stirbt King George VI, der vielen als Stotterer aus «The King’s Speech» bekannt sein dürfte. Die Krone geht an Elizabeth weiter. Sie ist 26 Jahre alt und muss fortan als Staatsoberhaupt, das nur wenige Machtbefugnisse geniesst, ihr Land repräsentieren – und Entscheide des Parlaments absegnen.

Als Oberhaupt der Church of England (auch hier ohne grossen Einfluss) sitzen ihr erzkonservative Bischöfe im Nacken, während sich grosse Teile des Volkes eine moderne Königin wünschen. Ein Rollenkonflikt der gröberen Art.

Claire Foy (32) spielt die innere Zerrissenheit von Lilibeth, wie ihr nächstes Umfeld Elizabeth nennt, mit dem Fingerspitzengefühl einer Mandalamalerin. Die britische Schauspielerin war zuletzt auf Arte in der BBC-Serie «Wolf Hall» als Anne Boleyn zu sehen. In «The Crown» muss sie mit wenig Ausdrucksmöglichkeiten auskommen – den Mund bewegt sie nach der Etikette aller britischen Aristokraten so wenig wie möglich, die Hände höchstens zum Winken. Vielleicht sind Engländer deshalb so gute Schauspieler: Sie haben gelernt, sich nicht auf Effekthascherei zu verlassen. Foy überzeugt mit minimalistischer Mimik. Und mit ihren blauen Kulleraugen.

Grandios auch John Lithgow (71), einer der wenigen Amerikaner in der Besetzung, bekannt unter anderem als «Trinity-Killer» aus der Serie «Dexter». Er spielt die tragende Rolle des herrischen Churchill (1874–1965), der wenig Verständnis für Princess Margaret aufbringt, als diese den geschiedenen Oberst Peter Townsend heiraten will. Die Queen würde ihrer jüngeren Schwester gerne den Segen dafür geben, aber auch Kirche und Familie sind strikt dagegen.

Die Krone muss siegen, muss immer siegen!

Elizabeth begreift jetzt, was Grossmutter Queen Mary ihr vor der Krönung einzutrichtern versuchte: dass der Konflikt zwischen persönlichen Interessen und denen des Königshauses sie ein Leben lang begleiten werde, die Krone aber immer siegen müsse. «The Crown must win, must always win!» Die Monarchie sei da, um gewöhnlichen Menschen ein Ideal zu geben, nach dem sie streben können. «Ein Beispiel für Nobilität und Pflicht.»

Natürlich mutet das wahnsinnig elitär an. Den Machern von «The Crown» gelingt es aber, die Berechtigung dieser – aus der Distanz betrachtet – doch sehr merkwürdigen Institution nachvollziehbar zu machen. Der Zuschauer kann verstehen, was mit der Last der Krone gemeint ist. Mal abgesehen davon, dass es im Buckingham Palace in London anscheinend immer schrecklich zieht: Mit dieser Queen möchte man nicht tauschen.

Mit ihrem Ehemann Philip schon eher, auch wenn er seine Position in der Serie nicht geniesst. Der junge Prinz hat Probleme damit, im Schatten seiner Frau zu stehen. Matt Smith (33) verkörpert ihn, bekannt aus der Serie «Dr. Who».

Also haut sich der unglückliche Monarch die Nächte mit Partys um die Segelohren und lernt tagsüber fliegen. Statt sein unbeschwertes Leben zu geniessen, macht er seiner Frau Szenen. Als die Queen ihm sagt, ihr Pferdezüchter gehöre quasi zur Einrichtung des Bucking ham-Palastes, erwidert er schnippisch: «Solange du dich nicht auf ihn draufsetzt…»

Tiefe Empörung über den nackten Hintern des Prinzen

Kein Wunder, wirft «The Crown» in England schon vor der Veröffentlichung hohe Wellen. Hofexperte Hugo Vickers bringt in der «Daily Mail» seine tiefe Empörung über die «geschmacklose» und «vulgäre» Darstellung der Royals zum Ausdruck. Schon alleine der Anblick von Prinz Philips nacktem Hintern ist für Vickers «too much».

«The Crown» sei ein PR-Triumph für die Windsors, schreibt hingegen Ben Lawrence, Kritiker des «Telegraph». Er sieht die Serie als «mitfühlendes Kunstwerk, das die Royals von einer noch nie gesehenen menschlichen Seite zeigt». Die Kontroverse dürfte den Erfolg des zehnteiligen Werks zusätzlich ankurbeln.

Und was meint das Königshaus selbst? Bisher hat es sich noch nicht offiziell zur Serie geäussert, sei gemäss Insidern aber gespannt und nervös. Vor allem, weil Drehbuchautor Morgan bei seinen Recherchen unabhängig bleiben wollte und deshalb nie um königliche Unterstützung bat. Mindestens sechs weitere Staffeln von «The Crown» sind vorgesehen. Egal, ob die Queen «amused» ist oder nicht.

«The Crown» Staffel 1 (10 Folgen): Erhältlich ab 4. November auf Netflix Schweiz.

Ganze Geschichte mit Bildern

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