
Dieter Meier öffnet die Tür seiner Villa am Zürichberg – oben ohne. Der 71-jährige Musiker, Sänger, Künstler und Unternehmer ist braungebrannt und offensichtlich gut in Form. Er trägt verbeulte Sport-Shorts und rahmengenähte Slipper. Seine graue Mähne ist zu einem Dutt zusammengezurrt. Er komme gerade vom Rudergerät, sagt er, und bittet uns ins Haus.
Hier wohnt er mit Frau und Sohn. Die Einrichtung der Räume demonstriert stilvoll orchestrierte Lässigkeit, im Garten brummt ein Rasenmäher. Handwerker stellen dort ein Zelt auf. Darunter feiert am nächsten Tag Meiers jüngste von drei Töchtern ihre Hochzeit.
Meier stellt mit Soundtüftler Boris Blank (64) das Elektropop-Duo Yello. Es ist nach sieben Jahren zurück mit neuem Album. Zwei Konzerte in Berlin, die ersten seit über drei Jahrzehnten, waren in 24 Stunden ausverkauft. Die zwei Zusatzkonzerte fast ebenso schnell.
Während sich Meier umzieht, gibt Blank eine Führung durch das Sound-Studio in der Villa. Darin kitzelt er seit 30 Jahren Klänge und Rhythmen aus Maschinen, hier entstanden Hits wie «The Race». Der von der Formel 1 inspirierte Track schaffte es in die Top Ten der UK-Charts. Oder «Oh Yeah», eine Auskopplung des Schweizer Nummereins-Albums «Stella». Das «Oh» und das «Yeah» des Refrains machten weltweit Karriere – zu hören ist der Jingle auch in Hollywood-Produktionen, zum Beispiel in «Ferris macht blau».
Das neue Album führt durch die Vergangenheit in die Zukunft
Mit über zehn Millionen verkauften Tonträgern gehören Yello – sie erhalten im November ihre eigene Briefmarke – zu den erfolgreichsten Schweizer Musikern. Ihr radiotauglicher Elektro funktioniert überall auf der Welt gleich gut. Bereits zur Single «Bostich» tanzten in den 1980er-Jahren die Clubber New Yorks. Und staunten ob diesem Sound, der nur aus aneinandergereihten Musik-Schnipseln bestand, sogenannten Samples. Blank gilt heute als Urvater der Sample-Technik, aus der House und Techno entstanden.
«Alles nur, weil ich kein Instrument spielen konnte», sagt Blank und beisst in einen Apfel. Er strahlt verschmitzte Jugendlichkeit aus, betont durch ein zugekniffenes linkes Auge, das aussieht, als würde es einem zuzwinkern. Blank ist darauf blind seit einem Unfall mit Schwarzpulver als Kind.
Reden wir also von dem neuen, 13. Album: «Toy». Man könnte es mit «to the Future through the Past» betiteln, sagt Meier, nachdem auch er im Wohnzimmer Platz genommen hat. «Durch die Vergangenheit in die Zukunft» lässt sich der Slogan übersetzen. Tatsächlich klingen die Songs auf «Toy» vertraut, wie eine modernisierte Version der Collagen aus lateinamerikanischen Rhythmen, Funk und Lounge-Musik, für die Yello steht. Kühle Juwelen mit Schliff und Perfektion eines Bulgari-Smaragds. Die Sängerinnen Malia (38), Britin mit afrikanischen Wurzeln, oder die chinesischstämmigen Fifi Rong (26), sorgen für eine sinnliche Note. Daneben bleibt genug Raum für the Master’s Voice: die Stimme von Dieter Meier.
Sie wissen, wie der andere tickt, sind eingespielt wie ein Ehepaar
Yello-Songs erkennt man nach einer Sekunde. «Ich hatte nie den Anspruch, mich musikalisch weiterzuentwickeln», sagt Blank. «Bei mir steht einzig und allein die Stimmung im Vordergrund, die ich mit meiner Musik erzeugen will.»
Nur einmal haben Yello versucht, eine Welle zu reiten, und sahen wortwörtlich alt aus. Das war in den 1990er-Jahren, als es mit Rave losging. Sie erlaubten zahlreichen aufstrebenden DJs, Remixe ihrer Songs zu machen. Das meiste davon sei Schrott gewesen, sagen sie heute.
Wenn Boris ihm einen Beat vorspiele, sagt Dieter, sei das für ihn wie Filmmusik, zu der er sofort eine Szene sehe. Wie auch bei «Starlight Scene», einem der besten Songs auf «Toy», handeln diese oft von der Liebe zu einer unerreichbaren Frau. «You know, I know, I should not make that call», heisst es im Refrain.
Meier singt ihn im Interview mit seiner tiefen Sprechstimme: ein Hühnerhaut-Moment. Er ist bei Yello noch immer fürs Gesamtkonzept verantwortlich. Dazu gehören die Dandy-Outfits mit Einstecktüchern und Sonnenbrillen. Oder die Musikvideos, für die Meier schon mal Pfeffermühlen als Ufos inszeniert. Einige der Clips gehören zur Sammlung des Museum of Modern Art in New York.
Blank ist immer gestresst, muss er etwas so Unberechenbares wie eine menschliche Stimme in seine Computerklänge integrieren. Wie ein Maler, dem jemand ins Bild malt. «Ich kann heute schon an Boris’ Ohren ablesen, ob ihm mein Text passt oder nicht», sagt Meier. Blank schiesst mit einer unsichtbaren Pistole in Richtung seines musikalischen Partners und sagt: «Wir haben von der Kantonspolizei einen Taser erhalten. Damit kann ich die Spannung sofort herunterfahren.» Die beiden interagieren manchmal wie ein altes Ehepaar.
Dass Yello wieder auf die Bühne wollen, erstaunt. Boris Blank leidet bekanntlich unter starkem Lampenfieber. In einer Biografie, die 2011 erschienen ist, beschreibt er eine Szene, die sich 1983 nach einem der seltenen Konzerte in einer legendären New Yorker Disco abgespielt hatte: «Als wir damals im Roxy den zweiten Gig fertig gespielt hatten, verneigten Dieter und ich uns vor dem applaudierenden Publikum. Und dann umarmten wir uns, und in der Umarmung sagte ich zu Dieter: ‹Nie wieder, Dieter! Nie wieder werde ich auf einer Bühne stehen.› Und er antwortete: ‹Ich verspreche es dir.›»
Dieter habe ihn jahrelang bearbeitet, sagt Blank. «Ich habe mir gedacht: Jetzt oder nie.» Denn irgendwann sei Dieter 80 und müsse mit dem Rollator auf die Bühne. «Säb aber sicher nöd!», sagt Meier auf Zürichdeutsch. Und fügt an: «Die Bühneshow wird nicht nur musikalisch, sondern auch visuell ein Spektakel werden. Unsere Musik schreit geradezu nach Bildern.»
Für manche Songs werden vierzehn Leute auf der Bühne stehen, darunter Perkussionisten und Sängerinnen. «Nicht wie bei diesen Star-DJs, die eigentlich auf Play drücken und dann ein Bier trinken gehen könnten», sagt Meier.
Dann beginnt er von der Tour seines Solo-Projekts «Out of Chaos» zu erzählen, als er in Zagreb in einem «1,5-Sterne-Hotel» logieren musste, direkt an einer Hoch-Autobahn. «Meine Frau macht sich immer lustig über solche Sachen», sagt er. «In ihren Augen bin ich ein verwöhntes Bubeli.» Blank hört den Erzählungen über die abenteuerlichen Tour-Erlebnisse zu – und wird grad etwas nervös. «Sag das jetzt nicht zu laut, Dieter!»
80 Veranstalter haben bei Yello schon angeklopft
Die vier für Oktober geplanten Konzerte im Kraftwerk Berlin sind für die beiden eine Art Hauptprobe. Läuft alles gut, wollen Yello später auch in der Schweiz Live-Konzerte geben. Seit das mit den Bühnenshows bekannt sei, sagt Blank, hätten sich über 80 Veranstalter dafür interessiert, die Show zu sich zu holen, darunter fünf aus Australien und elf aus Russland. Aus den USA haben sich die Macher des legendären Coachella gemeldet, eines der grössten Festivals der Welt. Und auch die Firma, die sonst Tourneen für Beyoncé organisiert, ist an einer Zusammenarbeit interessiert.
Es sieht ganz danach aus, als könnte Yello nochmals gross durchstarten. «Ich habe immer gesagt, dass wir noch alles vor uns haben», sagt Dieter. «Und darüber Witze gemacht, dass ich mit 85 eine eigene Show in Las Vegas haben möchte.»
Das Interview geht zu Ende, nun müssen wir still sein. Blank will mit seinem iPhone das Klacken des Blitzes unseres Fotografen aufnehmen. Danach tippt er kurz auf dem Screen – und schon hat er das Geräusch mit einer App zu einem Song gemacht. Auch der klingt – nach Yello. Das hört man nach einer Sekunde.
Das Yello-Studioalbum «Toy» (Universal) erscheint am 30. September.
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