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Mega magischer Mix

In «Sonntagsblick Magazin», Kultur on 21. August 2016 at 13:51

bild_the_get_downSie ist eine der teuersten Serien der Filmgeschichte: «The Get Down» spielt in der Bronx der 1970er-Jahre und zeigt die Entstehung von Hip-Hop.

Die Revolution wird nicht am Fernsehen gezeigt», skandiert ein Rapper in «The Get Down», der neuen Serie von Regisseur Baz Luhrmann (53), bekannt durch Kitsch-Orgien wie «Moulin Rouge». Sie spielt in der South Bronx in den 1970ern. Disco steht im Zenit, gleichzeitig erwacht fernab der Öffentlichkeit und in der übelsten Ecke New Yorks eine Bewegung, die sich später zum Milliardengeschäft entwickeln sollte: Hip-Hop.

Und es stimmt! Die Revolution wird nicht am Fernsehen gezeigt, sondern auf der Streaming-Platt-form Netflix. Ab sofort sind dort die ersten sechs Folgen von «The Get Down» in deutscher Sprache oder mit deutschen Untertiteln zu finden – und damit ein nie da gewesener Mix aus Musikfilm, Teenager-Romanze, Ghetto-Doku und Superheldenspektakel.

120 Millionen Dollar hat der Zwölfteiler verschlungen, mehr als die neuste Staffel von «Game of Thrones» (HBO). Bereits in seinem jüngsten Kinofilm «The Great Gatsby» schöpfte Regisseur Luhrmann aus dem Vollen – und sprengte das Budget bei weitem. Mit «The Get Down» setzt er einen obendrauf. Zehn Millionen Dollar kostet eine Folge – Luhrmann hat eine der teuersten «Nicht-Kino»-Produktionen der Filmgeschichte geschaffen.

Sogar Christina Aguilera singt im Hintergrund mit

Allein der Soundtrack hat es in sich. Er besteht aus 24 Songs. Die meisten sind neu, gesungen werden sie von den Serienstars, aber auch von Musikgrössen wie Christina Aguilera, Michael Kiwanuka oder Janelle Monáe. Mitgewirkt hat zudem Nile Rodgers (63) – ein ehemaliger Bronx-Bewohner, erfolgreicher Musikproduzent und Gitarrist der Band Chic. Oder Rap-Legende Nas (42), der in der Serie als Co-Produzent waltet und beim Soundtrack die musikalische Leitung verantwortet.

Überhaupt stand Luhrmann eine Armee von Zeitzeugen zur Seite. Am Drehort von «The Get Up», in den Filmstudios in Queens, liess er sich eigens eine Halle einrichten. Darin bildeten Experten die Hauptdarsteller in den wichtigsten Hip-Hop-Disziplinen aus: Rap, Breakdance, Graffiti und DJ-ing.

Grandmaster Flash war der DJ-Gott der Bronx. In der Serie wird er von einem Schauspieler verkörpert und erklärt die Technik, durch die Hip-Hop einst entstand: Mit Hilfe von Plattenspielern schnitten DJs aus Disco-Stücken Stimmen und Violinen-Soli heraus, bis nur noch die Beats übrig blieben. Denn die Leute in den Bronx-Clubs wollten ohne Unterbruch tanzen. Der Mann am Mikrofon, der sie mit Worten anfeuerte, wurde später zum Rapper.

Schon damals habe ihn die urbane Welt ungemein fasziniert, erzählte Luhrmann dem Magazin «Variety». Er wuchs in einer australischen Kleinstadt auf. «Alles, was mich interessierte – Filme, Kunst, Musik – schien aus New York City zu kommen.» Wer in den 1970er-Jahren dort lebte, hatte allerdings nur wenig zu lachen. Nach der grossen Finanzkrise zog jeder weg, der es sich leisten konnte. Manhattan galt als gefährliches Pflaster, die South Bronx glich einem Kriegsgebiet. Überall brannten Häuser. Immobilienbesitzer liessen sie illegal anzünden, damit sie die Versicherungssumme einsacken konnten.

An diesem Unort wohnen die Teenager und Hauptfiguren aus «The Get Down». Ezekiel (Justice Smith, 21) bei seiner Tante und deren asozialem Lover. Seine Liebe, die Pfarrerstochter Mylene (Herizen F. Guardiola, 19), bei ihren frömmlerischen Eltern. DJ Shaolin Fantastic (Shameik Moore, 21), der Älteste unter den Kids, muss sich als kleinkrimineller Handlanger mit demütigenden Jobs durchschlagen. Ganz schön deprimierend. Zum Glück wissen alle drei, dass sie zu Höherem bestimmt sind. Ezekiel möchte als Rapper durchstarten, Mylene feilt an ihrer Karriere als Disco-Queen, und Shaolin träumt vom DJ-Leben.

Homoerotische Begegnung mit einem Graffiti-Künstler

Bald schliessen sich die Männer zur Band zusammen: The Get Down Brothers. Dazu gehören auch die drei Kipling-Geschwister. Will Smiths Sohn Jaden Smith (18) spielt einen der Brüder, er kommt in einer homoerotischen Begegnung dem Graffiti-Künstler Thor näher – der einzig halbwegs wichtigen Seriefigur, deren Vorfahren nicht aus Afrika oder Lateinamerika stammen.

Trotz knallhartem Umfeld: «The Get Down» ist kein Ghetto-Drama, bei dem wir aus Distanz ins Elend schauen und merken, wie schön wir es doch in unserem Leben haben. Dazu wirken die Farben zu bunt, die Charakteren zu lebensbejahend. Mancher Zuschauer mag sich dabei erwischen, selbst gerne Teil dieser Welt zu sein, deren Protagonisten – wie wir alle – das Bedürfnis haben, jemand zu sein.

Der Ninja, der aus dem Ghetto kam

Luhrmann erfüllt seinen Figuren den Wunsch nach Anerkennung, indem er ihnen Superkräfte zugesteht. Sie verwandeln sich in Profitänzer, springen über Häuserschluchten, holen Junkys mit Eiswürfeln aus dem Koma. «Magischer Realismus» heisst dieses Stilmittel.

Damit hat er das Publikum bereits in «Strictly Ballroom» (1992) oder «Romeo + Juliet» (1996) überzeugt. Die Jugend aus den 1970ern habe sich ihren eigenen magischen Realismus geschaffen, sagte Luhrmann in einem Interview mit der «New York Times». Eine alte Frau aus der Bronx habe ihm erzählt, ihr Bruder sei als Kind aus einem Gebäude gesprungen und habe danach zu ihr gesagt: «Ich bin ein Ninja, aber erzähl es niemandem!»

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