Journalist

Kein Tag wie dieser

In «Sonntagsblick Magazin», Gesellschaft on 8. Mai 2016 at 15:15
Nie wurde so aufwendig geheiratet. Das Mantra der Pärchen heisst: Individualität für fast jeden Preis. Und ja nicht so wie alle anderen.

Es sei der schönste Tag ihres Lebens gewesen, sagt die fünfjährige Tochter von Burcu und Sebastian Angst. Die beiden, sie 36, er 31 Jahre, lachen. Vergangenen Sommer gaben sie sich in Cham ZG das Jawort auf dem Standesamt und feierten später ein luxuriöses Hippie-Fest auf Ibiza – acht Jahre, nachdem sie sich kennengelernt hatten. «Eigentlich waren wir immer strikt gegen eine Heirat», sagen sie. «Doch dann ist der Wunsch gewachsen, unsere Liebe mit Angehörigen und Freunden zu verewigen und die Freude mit ihnen zu teilen.»

Burcu und Sebastian, die wir hier der Einfachheit halber bei den Vornamen nennen, sind ein normales Schweizer Paar. Sie hat türkische Wurzeln, er kommt ursprünglich aus dem Kanton Schwyz. Die beiden wohnen in Adliswil ZH, beide sind erfolgreich im Beruf, sie als Key-Account-Manager an einer Wirtschaftsschule, er als Mitinhaber einer Beratungsfirma.

Auch mit dem Wunsch, ihre Beziehung in eine Ehe umzuwandeln, stehen Burcu und Sebastian nicht alleine da. Wie das Bundesamt für Statistik Ende März kommunizierte, sind vier Fünftel aller Personen verheiratet, die in der Schweiz mit einem Partner in einem Haushalt leben. Im vergangenen Jahr sagten insgesamt 40 701 Schweizer Paare Ja zueinander. Männer sind bei der Erstheirat durchschnittlich 31,8 Jahre alt, Frauen 29,6.

Weil man nicht mehr aus gesellschaftlichen Zwängen heiratet, sondern sich aus eigener Überzeugung dafür entscheidet, steigt auch die Bedeutung des Fests. Einschlägige Messen und die zahlreichen Wedding-Blogs im Internet zeigen: Noch nie wurde der schönste Tag so aufwendig gefeiert wie in diesen Tagen (siehe Interview Seite 10.)

Das Augenmerk gilt dabei weniger dem offiziellen Prozedere auf dem Standesamt, sondern dem Teil, den man selbst gestalten kann, den Feierlichkeiten drum herum. Hier heisst die Losung: Individuell muss es sein. Und, vor allem: Ja nicht so wie bei den anderen.

«An unserem Hochzeitsfest etwa waren Krawatten verboten», sagt Sebastian. «Auch wenn das den einen oder anderen Gast irritiert hat.» Allein der Gedanke, klassisch in einem Schlosssaal zu feiern, mit seiner Frau in einem üppigen Zuckerwattenkleid, habe ihm die Luft abgeschnürt. «So sind wir nicht. Wir mögen es leger – selbst in schicken Restaurants tragen wir T-Shirts und Turnschuhe.» Die beiden heirateten mit Hilfe eines Wedding Planners, eines Profis, der nach ihren Wünschen das Fest organisierte. Es sei manchmal ein Kampf gewesen, sagt Burcu, weil sie sich gegen alles gesträubt habe, was ihr zu pompös erschien. «Ich mag zum Beispiel keine bunten Blumen», sagt sie. «Mein Brautstrauss war klein und weiss.»

Statt zum Dessertbuffet geht man heute zur Candy Bar

Die Hochzeit, mit der sich Burcu und Sebastian identifizieren können, findet schlussendlich auf Ibiza statt. 65 Gäste, drei Tage Geselligkeit. Am Hochzeitsfest selbst betritt Burcu durch ein Holztor eine Villa in Sant Rafael, steigt die Treppe runter. An deren unterem Ende wartet Sebastian. Im Hintergrund läuft der Song «Ich kenne nichts (das so schön ist wie du)» von Xavier Naidoo. Es folgt die Zeremonie: Die Trauzeugen erzählen Anekdoten aus dem Leben des Brautpaars. Sebastian: «Sie durften auch die eine oder andere Frauen- respektive Männergeschichte erwähnen.»

Anschliessend spricht das Paar das Ehegelübde, zertritt ein in ein Tuch gehülltes Glas und ruft: «Masel tov!» «Dieser Brauch aus dem Judentum hat mir von allen, die ich recherchiert habe, am besten gefallen», sagt Burcu: «Für uns bedeutet er: Scherben bringen Glück!»

Natürlich gab es auch Tränen. «Es hat mich sehr überrascht, dass wir bei der Zeremonie beide so emotional geworden sind», sagt die Frau. «Wir hatten das überhaupt nicht voneinander erwartet», ergänzt ihr Mann, «wir steckten viel Zeit und Aufwand ins Fest, aber es hat sich gelohnt.» Noch heute schwelgt er in den Erinnerungen an die Zeit auf Ibiza. «Ich investiere lieber in Ereignisse als in Objekte.»

Gemäss Hochzeitsplanern geben Schweizer durchschnittlich rund 30 000 Franken für Hochzeit, Kleid und Ringe aus und beginnen in der Regel schon ein Jahr vorher mit den Vorbereitungen. «Eine Hochzeit soll heute die Persönlichkeit des Brautpaars spiegeln», sagt Chris Libuda (46). Die Hamburgerin ist freie Journalistin und betreibt in Basel mit einer Kollegin Hochzeitsblog. ch, eine Webseite «für moderne und kreative Hochzeitsideen». Bis zu 25 000 Besucher pro Monat informieren sich bei ihr darüber, was die Feier zum Feuerwerk des guten Geschmacks macht. Traditionen wie blind Torten-Füttern oder einen Baumstamm zersägen sind modernen Brautpaaren ein Gräuel. Libuda: «Heute feiert man nicht mehr nach altgedienten Abläufen und Riten, sondern macht einfach ein grosses Fest der Liebe. Das bietet so viele Möglichkeiten.»

Dauerbrenner unter den vielen Mottos sind derzeit Boho (Blumenkränze, Peace-Zeichen), Vintage (Spitze, Packpapier) und DIY («Do it yourself»). Oder sogenannte Barn Weddings, die rustikale Elemente einer Scheune aufnehmen: «Strohballen dienen als Sitzkissen, Baumwollzweige werden zu Blumendekor. In der Ecke steht eine Whisky-Bar, überall hängen Traumfänger.»

Wie viele Trends kommt auch der Sinn für Megahochzeiten aus den USA – darauf verweisen alleine die vielen englischen Begriffe, die Libuda in ihrer Welt verwendet. Das absolute Wedding-Must-have heisst bei ihr nicht Dessertbuffet, sondern Candy Bar. Darauf stehen Cupcakes und Cakepops, aber auch Gummiherzchen. Gäste dürfen sie mit einer kleinen Zange in ein Zellophan-Tütchen packen und mit nach Hause nehmen.

Nur die schönsten Hochzeiten schaffen es ins Internet

Libuda zeigt in ihrem Blog auch reale Hochzeitsfotos. Wer ihre kritischen Augen überzeugt, darf sich geehrt fühlen. Daniela und Aurel Witzig gehören zu den Auserwählten. An ihrer maritim inspirierten Vintage-Hochzeit im industriellen Ambiente des Basler Rheinhafens gabs zwar keine Candy Bar, dafür einen Photo Booth und Marshmallows auf Spiesschen zum Grillieren.

Schon ein Jahr vor dem festgesetzten Hochzeitsdatum im Sommer 2015 suchte Daniela – sie stammt aus Süddeutschland und besitzt in Basel eine Boutique für Wohnaccessoires – auf Social-Media-Plattformen wie Instagram nach Ideen. Oder sie kaufte in Online-Shops bei ambitionierten Bastlern Pompons aus Seidenpapier. «Mein Dekokonzept war am Schluss zwölf Seiten lang», sagt die 34-Jährige und muss über sich selbst lachen.

Er habe sich in der Planung höflich zurückgehalten, fügt ihr Mann Aurel (37) an, Schweizer und Prozessentwickler bei Ikea. «Sie ist die Stil-Fachfrau.» Gab es Momente, in denen sich das Paar uneinig war oder die Braut gar zur Bridezilla wurde, diesem Godzilla-ähnlichen Monster, das seine Umgebung terrorisiert? «Nein», sagt er. «Dazu ticken wir viel zu ähnlich.» Daniela: «Am Tag des Festes waren all die Details dann sowieso plötzlich nicht mehr wichtig.»

Was war denn nun rückblickend das Schönste an ihrer Hochzeit? «Ich könnte jetzt das Jawort auf dem Standesamt anführen», sagt Aurel. «Oder die Zeremonie, bei der eine Theologiestudentin eine freie Predigt mit christlichen Elementen hielt. Aber eigentlich war es einfach toll, mit so vielen Leuten, die uns nahestehen, ein Fest zu feiern.» Es sei wie eine Zeitbremse gewesen, fügt er an, in der man innehält und zueinander sagt: «Geniessen wir diese Stunden zusammen.»

«Auch ich hätte mir den Tag nicht schöner vorstellen können», sagt Daniela. Sogar ihre katholische Verwandtschaft sei begeistert gewesen von der etwas anderen Trauung. Und niemand hat sich an den kurzen Hosen des Bräutigams gestört. Aurel: «Wer mich kennt, weiss: Ich habe immer heiss.» Natürlich hätte er seiner Frau zuliebe auf Shorts verzichtet, sagt er. «Aber, dass sie mich sogar noch dazu ermuntert hat, sie zu tragen, passt zu uns. In unserer Beziehung darf jeder sein, wie er ist.»

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