Journalist

Komische Zeiten

In «Sonntagsblick Magazin», Kultur on 3. April 2016 at 09:19
bild_kleemanDas Debüt der US-Autorin Alexandra Kleeman wird von der Kritik gefeiert. Es skizziert das Martyrium einer jungen Frau in einer fiktiven Konsumwelt.

Bereits ihr erster Roman wirft hohe Wellen. Die amerikanische Ausgabe der «Vogue» jubelt, Alexandra Kleeman (30) habe ein Art «Fight Club für Frauen» geschrieben.

Die «New York Times» vergleicht die 30-jährige US-Autorin mit dem Schriftsteller Edgar Allan Poe, der im 19. Jahrhundert erste Science-Fiction-Literatur verfasste. Und das Online-Magazin «Observer» schreibt, Kleemans Debüt sei seit Jahren das unheimlichste Buch, das in die Läden gekommen sei.

Ab Mittwoch ist das Werk «You Too Can Have a Body Like Mine» nun auch unter dem etwas unglücklichen Titel «A wie B und C» in deutscher Übersetzung erhältlich. Es handelt von einer introvertierten Frau, A, die mit ihrer Mitbewohnerin, B, in einer fiktiven Grossstadt wohnt und vor allem eines tut: TV schauen.

Die Handlung ist irgendwo in der nahen Zukunft angesiedelt – und, obwohl keine Ufos durch die Luft schwirren, merkt der Leser schnell, dass in dieser Welt vieles anders ist: Am TV laufen Werbespots für essbare Gesichtscremes, und in der Nachbarschaft verschwinden Menschen, um sich der «Kirche der vereinigten Esser» anzuschliessen, deren Anhänger Nahrung in hell (gut) oder dunkel (schlecht) unterteilen.

Dann wäre da noch C, der Freund von A. Er will mit ihr in einer Game-Show auftreten, bei der sich Verliebte vertraglich dazu verpflichten, auf Lebzeiten nie mehr Kontakt zu ihren Partnern aufzunehmen, falls sie das Spiel verlieren.

Kleeman beschreibt die unterkühlte High-End-Konsumwelt chirurgisch genau, mit viel Liebe fürs Detail. Und führt den Leser langsam an ein Horrorszenario heran, das sich anfühlt, wie ein kalt gewordener Fiebertraum.

Zu sensibel, zu beeinflusst von Werbung und Reality-TV

Im Telefoninterview vermittelt die Autorin dem Anrufer im ersten Moment den Eindruck, mit der Hauptfigur ihres Buches zu sprechen – Kleemans Stimme klingt puppenhaft. Sie sagt: «Ich habe mit A einen Charakter geschaffen, der etwas zu sensibel ist und deshalb grosse Ähnlichkeit hat mit mir selbst. Im Unterschied zu A. stehe ich aber viel mehr im Gleichgewicht mit der Welt, in der ich lebe.»

Kleeman wohnt mit ihrem Verlobten Alex Gilvarry (35), auch er ein erfolgreicher Jungautor, in einem ehemaligen Industriegebäude auf Staten Island, einer Insel vor Manhattan. «Vor meinem Fenster brechen Wellen aus grauem Hafenwasser. Es ist nicht gerade das, was man als hübsch bezeichnet. Aber mir gefällt es.»

Sie habe die ersten fünf Jahre ihres Lebens in Japan verbracht, sagt sie. Die Mutter, eine Taiwan-Chinesin, sei Professorin für japanische Literatur, der Vater, ein amerikanischer Professor für fernöstliche Religionen. Das erklärt ihre asiatischen Züge und ihren dezenten Akzent.

Sie selbst habe unter anderem Literarische Künste studiert, das Schreiben sei aber schon immer ihre Lieblingsbeschäftigung gewesen. «Für mich ist es eine angenehme Möglichkeit, mit meinem Unterbewusstsein Kontakt aufzunehmen. Ich fühle ich mich in diesem Moment zwar sehr alleine aber überhaupt nicht einsam.»

Es ist das grosse Thema ihres Buches: Das Sich-selbst-Verlieren, sei es in einer anderen Person oder in den Wirren der Konsum- und Informationsgesellschaft. «Wir leben in einer komischen Zeit», sagt sie. Im Internet können wir jederzeit alles nachschauen – und trotzdem verschwinden Flugzeuge spurlos vom Radar, und niemand weiss, wo sie hingekommen sind.»

Kleemans Figur A verliert sich auch im eigenen Körper, indem sie fast nichts isst. Sie sagt Dinge wie: «Mein Hunger war so gross und sanft, dass ich darin herumpaddeln konnte wie ein Hund im Wasser.»

«A ist eine Weiterentwicklung von mir selbst oder von Personen aus meinem Umfeld», sagt Kleeman. Das macht ihr Buch so erschreckend realistisch: Der Leser erkennt sich in ihm selbst.

A will perfekt sein und verkümmert – beeinflusst von Werbung und Reality-TV – zur Sklavin ihres eigenen Körpers.

Für den männlichen Leser sind Kleemans Beschreibungen manchmal doppelt surreal, weil sie ein neues Licht auf die weibliche Alltagsroutine werfen, die selbst Frauen nicht hinterfragen. Zum Beispiel das Schminken. Kleeman: «Viele von uns haben die tägliche Angewohnheit, sich eine Zeichnung aufs Gesicht zu malen, ohne die sie sich irgendwann gar nicht mehr richtig wie sich selbst fühlen.»

Mitbewohnerin B beginnt irgendwann, die Make-up-Utensilien von A auszuleihen. Und kündigt irgendwann an, ganz wie sie werden zu wollen. Dafür schneidet sie sich dieselbe Kurzhaarfrisur. Ihr Vorbild weiss nicht, ob es geschmeichelt oder angeekelt sein soll. Das Dilemma gipfelt in einer grotesken Szene, in der A die abgeschnittenen, zu einem Zopf gebundenen Haare ihrer Möchtegern-Doppelgängerin hinunterwürgen muss.

So ist «A wie B und C» auch ein Buch über die Dynamik weiblicher Freundschaften. «Frauen wertschätzen ihr Gegenüber oft, indem sie sich ihm im Wesen und äusserlich angleichen», sagt Kleeman.

Eine intensive weibliche Freundschaft mache aus zwei Personen schnell einmal eine. «Das kann sehr unschön enden, wenn zum Beispiel ein Freund auf den Plan tritt.»

Männer hätten es da viel einfacher, sagt Kleeman. «Sie lassen sich nicht so schnell auf emotionale Abhängigkeiten ein. Darum beneide ich sie.»

«A wie B und C» von Alexandra Kleeman (Kein & Aber) erscheint am 6. April.

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