Journalist

Reif für den Film

In «Sonntagsblick Magazin», Kultur on 27. März 2016 at 15:49

bild_hoferKommende Woche startet der neue Dokumentarfilm von Eileen Hofer in den Kinos. Die Genferin ist preisgekrönte Regisseurin, organisiert Jetset-Partys und reist fürs Leben gern.

Eileen Hofer ist im Schuss. Sie muss ihre Einzimmerwohnung in Genf leer räumen, weil die Verwaltung den Boden ausbessern will. «Ich spiele mit dem Gedanken, meinen ganzen Besitz wegzugeben», sagt die 40-Jährige und lässt sich aufs Sofa in ihrem Stamm-Lokal plumpsen.

Genau hier, im schäbig-schicken Café Art’s an der Rotlichtmeile Genfs, hört Hofer das erste Mal von der kubanischen Primaballerina Alicia Alonso – eine Freundin Fidel Castros und in ihrer Heimat eine Nationalheilige. Die heute 95-Jährige leidet seit ihrem 19. Lebensjahr an einer Netzhautablösung und verliert nach und nach ihr Augenlicht.

Statt aufzugeben, lernt die international gefeierte Latina blind zu tanzen und leitet bis heute das kubanische Nationalballett.

Hofer macht sie zur Hauptfigur ihres neuen Films «Horizontes». Die poetische Doku, die kommende Woche in den Kinos der deutschsprachigen Schweiz startet, begeistert an Filmfestivals von Locarno bis Breslau die Kritiker. Der dazugehörende, ebenfalls in Kuba aufgenommene Kurzfilm «Nuestro Mar» von Hofer gewinnt an den Winterthurer Kurzfilmtagen 2015 die Auszeichnung als bester Schweizer Beitrag.

«Alicia Alonso ist eine Frau, die trotz widrigen Umständen für ihren Traum kämpft. Damit kann ich mich identifizieren», sagt Hofer. Die Regisseurin ist das, was man eine natürliche Schönheit nennt. Beim Sprechen nähert sie sich dem Gesicht des Gegenübers und blickt fordernd in dessen Augen. Als gelte es herauszufinden, was dahinter vor sich geht.

«Ich bin auf Umwegen Regisseurin geworden», sagt sie, «und ich habe mir das Metier selbst angeeignet.» Nach einem Kunstgeschichte-Studium arbeitet Hofer zuerst als Medienbetreuerin für ein Filmfestival, dann wechselt sie selbst zur Presse. «Ich wurde Journalistin, weil ich so viele Fragen an die Filmschaffenden hatte.» Jetzt ist sie selbst eine von ihnen.

Die Trauer des fröhlichen Schwans

«Libanon, das Land, in dem ich hätte geboren werden sollen», schreibt Hofer im Abspann ihres in Beirut angesiedelten Kurzfilms «Le deuil de la cigogne joyeuse» (übersetzt: Die Trauer des fröhlichen Schwans) von 2010. Ihre Mutter, eine halb türkische, halb libanesische Christin, hat als Stewardess gearbeitet. Ihr Vater, ein Schweizer Expat, als Ingenieur. Das Ehepaar lebt im Libanon, bis Mitte der 1970er-Jahre der Bürgerkrieg ausbricht.

Die beiden müssen das Land fluchtartig verlassen. Eileen Hofers Vater bringt ihre Mutter (sie ist schwanger mit Eileen) zu ihrer Familie in die Türkei. Anschliessend fährt er mit allem, was er retten konnte, in die Schweiz. Beim Zwischenstopp in Belgrad rauben Diebe das Auto komplett aus. «Der Vater kommt ohne Besitz in Zürich an», sagt Hofer.

Immer wieder nimmt das Werk der Filmemacherin Bezug auf die Familiengeschichte. Zentrale Elemente sind Migration und die Suche des Menschen nach seinen Wurzeln.Hofers Vater heiratet zwei weitere Male und hat weitere Töchter. Aus der Geschichte der zwei aserbaidschanischen Stiefschwestern dreht Eileen Hofer ihren ersten Spielfilm.

Und wo liegen ihre eigenen Wurzeln? «Überall, wo es schön ist», sagt sie. Schon mit 15 habe das Reisefieber sie gepackt. Und zwar im katholischen Mädcheninternat am Genfersee, wo man sie wegen einer «Teenagerkrise» hinschickte. «Dort beschloss ich, die Welt zu erkunden, die ich durchs vergitterte Fenster in meinem Zimmer sah.» Mit 19 lebt sie in Wien und will Malerin werden, reist alleine durch Argentinien, lernt Spanisch und tanzt Tango.

Noch heute ist sie mindestens zwei Monate im Jahr als Backpackerin unterwegs. Dann nimmt sie ausser ihrem Reisepass nur ein paar alte Kleider mit, die sie an Einheimische verschenkt, bevor sie in die Schweiz zurückfliegt. «Nur eine Kerze habe ich immer mit dabei», sagt sie. «Die kann ich im schäbigsten Hostel aufstellen und fühle mich sofort wie zu Hause.»

Diese romantische Seite passt so gar nicht zum Bild, das Hofer als Party-Organisatorin und Reise-Bloggerin abgibt. Auf ihrer Webseite eileenexpresso.com berichtet sie auf Einladung von PR-Firmen von den exklusivsten Flecken der Erde. Man sieht sie – oft mit einem Champagner-Glas in der Hand – an Sportwagen-Präsentationen wie etwa in Andermatt oder in Luxus-Resorts im Urwald des goldenen Dreiecks. An den Afterwork-Events im Swissôtel Métropole, wo Hofer seit vielen Jahren als Gastgeberin auftritt, tummelt sich der Genfer Jetset.

«Ich selbst lebe sehr einfach», sagt Hofer. So nonchalant, wie ihr das über die geschwungenen Lippen kommt, glaubt man ihr es sofort. Für ihre Filme, fährt sie fort, sei sie oft auf Reisen, es habe sich angeboten, das mit einem Blog zu verbinden. Und mit den Partys bestreite sie ihren Lebensunterhalt.

Ein Leben voller krasser Kontraste. «Es kann vorkommen, dass ich an einem Tag vor Tausenden Festivalzuschauern Fragen zu meinem Film beantworte und 24 Stunden später aus einem Zelt in Tansania steige und nur von Giraffen umgeben bin.»

Hofer muss jetzt wieder los und sich um ihre Wohnung kümmern. «Ich spiele immer noch mit dem Gedanken, alles zu verschenken», sagt sie. Wir verstehen jetzt besser, warum.

Vom Kampf für den grossen Traum

Ballett-Tänzerinnen an unterschiedlichen Punkten ihrer Karriere. Die Teenagerin Amanda tut alles, um in die beste Tanzschule Kubas aufgenommen zu werden. Die 35-jährige Viengsay muss ihren Platz als Primaballerina verteidigen. Und schliesslich die erblindete Alicia Alonso, die noch im hohen Alter das kubanische Nationalballett leitet. «Horizontes» (ab 31. März) von Eileen Hofer ist ein Dokumentarfilm über Bewohner eines Landes, die wenige Möglichkeiten haben. Und über eine Kunstform, für die es sich für sie umso mehr zu kämpfen lohnt. Mit wenigen Dialogen zeichnet der Film eine Welt, in der weit hinter dem Horizont die Träume liegen.

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