Journalist

«Egotrips kann ich nicht tolerieren»

In «Sonntagsblick Magazin», Gesellschaft on 27. September 2015 at 08:15
bild_hummEiner der erfolgreichsten Köche der Welt gibt in Zürich ein Gastspiel: Exil-Schweizer Daniel Humm über seine Aargauer Wurzeln, Teamarbeit und den Freund seiner Tochter.

Herr Humm, Sie sehen sich selber als New Yorker. Wie leicht fallen Ihnen Interviews auf Schweizerdeutsch?

Daniel Humm: Manchmal kommen mir Wörter nicht mehr in den Sinn, weil alle um mich herum Englisch sprechen. Aber es geht schon. Aargauerdeutsch ist meine Muttersprache.

Kommende Woche sind Sie Gastkoch im Restaurant des Zürcher Hotels Baur au Lac. Dort arbeiteten Sie mit 20 Jahren, bevor Sie in die USA ausgewandert sind. Wie fühlt es sich an, als einer der erfolgreichsten Köche der Welt dorthin zurückzukehren?

Sehr schön, mega schön. Das Baur au Lac war beruflich eine wichtige Station für mich. Und Zürich ist die Schweizer Stadt, in der ich mich nach all den Jahren noch immer zu Hause fühle. Dass ich sie wieder einmal im Herbst erleben darf, freut mich umso mehr.

Was mögen Sie am Herbst?

Es ist meine liebste Jahreszeit. Ich liebe es, wenn die Blätter ihre Farbe verlieren. Und natürlich die Küche mit all ihren Produkten, all den Pilzen. Das Kochen und die Geschmäcker verändern sich im Herbst. Man schmort wieder mehr.

Im Baur au Lac wollen Sie Gerichte kochen, die eine wichtige Rolle in Ihrem Leben spielen. Zum Beispiel?

Es gibt sicher meinen Sellerie in der Schweinsblase – ein Gericht, mit dem ich für Aufsehen gesorgt hatte. Inspiriert ist es vom Poulet en vessie, bei dem ein Poulet in einer Schweinsblase gegart wird. Statt Geflügel verwende ich Gemüse. Das Fleisch muss nicht immer der Star auf dem Teller sein.

Wie lässt sich Ihre Küche in aller Kürze beschreiben?

Sie ist sehr reduziert, saisonal und von New York beeinflusst. Die Immigranten haben ihre traditionellen Gerichte hierher gebracht und an die Produkte angepasst, die sie im Hudson Valley fanden, das oberhalb New Yorks beginnt. Oder im Meer vor der Haustür.

Seit diesem Jahr stehen Sie mit dem Eleven Madison Park auf Platz fünf der Liste der besten Restaurants der Welt. Wie wirkt sich das aufs Geschäft aus?

Ein Spitzenplatz auf der «World’s Best»-Liste bedeutet sehr viel. Wir sind aber sowieso extrem ausgebucht. Um neun Uhr morgens hängen bereits 500 Leute in unserer Telefon-Warteschlaufe. Das ist erfreulich, aber wir machen uns auch Gedanken darüber. Nein sagen ist nicht sehr gastfreundlich.

Geht es anders?

Wir überlegen uns, ein Ticketsystem einzuführen: Ähnlich, wie wenn man am Computer Konzertkarten kauft. So sieht man wenigstens gleich, ob wir ausverkauft sind und muss nicht erst 20 Minuten warten, um dies zu erfahren.

Man sagt, Sie googeln jeden Gast, bevor er zu Ihnen kommt. Haben Sie mich vor diesem Interview auch gegoogelt?

Das ist nur im Restaurant wichtig. Wenn wir etwa einen im Team haben, der mit einem Gast auf dieselbe Uni gegangen ist, dann lassen wir ihn diesen bedienen. Denn ich erinnere mich nach zehn Jahren nicht mehr daran, was ich in einem Restaurant gegessen habe. Wie ich mich damals fühlte, bleibt aber unvergessen. Deshalb tun wir wirklich alles fürs Wohlbefinden unserer Gäste.

Im Eleven Madison Park sind es über 3000 pro Monat. Wieviel Personal braucht es dafür?

Geschäftspartner Will Guidara und ich beschäftigen 160 Mitarbeiter, darunter 70 Köche. Im New Yorker Nomad Hotel, wo wir ein weiteres Restaurant betreiben, sind es nochmals 350. An unser Weihnachtsfest kommen jeweils 1000 Leute. Angestellte plus Partner.

Das hört sich überwältigend an.

Ist es auch. Ich darf nicht darüber nachdenken, wieviele Menschen von unserem Unternehmen abhängig sind, sonst kriege ich Angst.

Als Sie vor 14 Jahren in Amerika ankamen, hatten Sie ein paar Hundert Dollar in der Tasche und konnten kein Wort Englisch: wenn ein Schweizer den amerikanischen Traum lebt, dann Sie …

Vergangenes Jahr durfte ich an der Harvard University einen Vortrag über meine Arbeit halten. Ich, der mit 14 die Schule abgebrochen hat! Ich dachte: Wow, wie ist das möglich?

Wie denn?

Ich wusste in der Schule, dass ich die meisten Sachen nie brauchen werde, die ich dort lernen sollte. Ich hatte diese eine Passion, das Kochen – und setzte alles auf eine Karte.

Sie sind in Strengelbach, Aargau, aufgewachsen. Wie hat Sie Ihre Herkunft kulinarisch geprägt?

Ich lernte früh, wie wichtig die Qualität der Produkte ist. Meine Mutter ist eine super Köchin, sie kauft direkt bei den Bauern ein. Natürlich keine Luxus-Zutaten – die Schweizer Küche ist ja sehr rustikal.

In einem Wolkenkratzer an der 425 Park Avenue, der im Bau steht, werden Sie bald Ihr drittes Restaurant in New York eröffnen.

Seit fünfzig Jahren durfte an dieser berühmten Lage, also mitten in New York, kein Gebäude mehr gebaut werden. Das ist nicht nur für mich eine grosse Sache, sondern auch für den verantwortlichen Architekten, für Norman Foster. In drei Jahren werden wir den Betrieb eröffnen.

Welchem Musiker werden Sie das Restaurant widmen? Im Eleven Madison Park kam Trompeter Miles Davis zu Ehren.

Es wird wohl Louis Armstrong sein. Ich liebe Jazz.

Sie sagten einst, dass Sie all Ihre Lokale in Velodistanz halten wollen. Sind Sie davon abgekommen? Offenbar planen Sie auch Restaurants in London und San Francisco.

London und San Francisco sind noch nicht definitiv. Unser nächstes Projekt wird in Los Angeles realisiert. Dort wird ein Ableger des Nomad Hotels errichtet. Aber ja, das mit der Velodistanz wird in Zukunft schwierig.

Früher waren Sie Mitglied der Schweizer Mountainbike-Nationalmannschaft. Wie viel Sport treiben Sie noch?

Derzeit trainiere ich für den New York Marathon. Sechsmal pro Woche renne ich am Morgen ein, zwei Stunden im Central Park.

Welches Ziel haben Sie sich gesteckt?

Vor einem Jahr brauchte ich für die Strecke 2:40 Stunden. Davon bin ich im Moment weit weg. Wie schnell ich die Strecke renne, ist mir nicht mehr so wichtig.

Sie sind 1,90 Meter gross, haben immer ein Lächeln im Gesicht, wirken gelassen, fast milde: schwer vorstellbar, wie Sie eine Küchenmannschaft kommandieren.

Es gibt schon andere Seiten an mir.

Welche?

Sagen wir es so: Ich habe sehr hohe Ansprüche ans Team. Aber man muss nicht unbedingt laut sein, um verstanden zu werden.

Sondern?

Ich suche mir die Leute sehr genau aus, mit denen ich zusammenarbeite. Manche sind schon zehn Jahre an meiner Seite – da versteht man sich auch ohne Worte. Ich verlange, dass sich jeder als Teil des Restaurants sieht – und aus Eigeninteresse und von Herzen Höchstleistungen bringt. Und nicht nur, wenn ich daneben stehe.

Gibt es etwas, das Sie in Ihrer Küche nicht ausstehen können?

Ich mag es nicht, wenn unnötig gesprochen wird oder wenn man das Geschirr klimpern hört. Ich möchte, dass es ruhig ist. Und Egotrips kann ich überhaupt nicht tolerieren.

Ausser bei Ihnen selbst?

Nicht mal dort. Es geht immer nur ums Restaurant, ums Team. Es kann nie um jemanden persönlich gehen.

Sie sind liiert. Arbeitet Ihre Freundin auch in Ihrem Team?

Nein.

Was macht sie beruflich?

Das spielt keine Rolle. Ich möchte sie hier lieber auslassen.

Ist es bei Ihrem hohen Pensum überhaupt möglich, mit jemandem zusammen zu sein, der sich jenseits Ihrer Welt bewegt?

Es braucht jedenfalls eine Partnerin, die einen wahnsinnig unterstützt. Meine Arbeit ist sehr dominant. In den letzten 25 Jahren stand sie bei mir immer im Vordergrund.

Ihre Tochter aus erster Ehe macht derzeit eine Servicefachlehre im Parkhotel Vitznau. Haben Sie ihr das nahe gelegt?

Nicht unbedingt. Ihr gefällt es einfach im Gastgewerbe. Sie arbeitete schon früh jeden Sommer in meinem Restaurant – das hat sie offenbar geprägt.

Sie ist 19 und mit Nenad Mlinarevic liiert, dem Chefkoch im Park Hotel Vitznau und einer der angesagtesten Sterneköche der Schweiz. Machen Sie sich Sorgen, dass Ihre Tochter mit jemandem zusammen ist, der genauso viel arbeitet wie Sie?

Überhaupt nicht. Mir ist wichtig, dass sie jemanden hat, der zielbewusst ist, sie gut behandelt und respektiert. Ich mag Nenad sehr. Wir drei verbringen viel Zeit miteinander und sind alle sehr glücklich.

Wie oft sind Sie denn noch in der Schweiz?

In den letzten Jahren wieder mehr. Sicher zweimal pro Jahr.

Das ist nicht gerade oft.

Für mich schon. Lange Zeit wollte ich nichts mehr von der Schweiz wissen, mich voll in die Kultur New Yorks vertiefen.

Sie haben sehr ausgefallene Ideen, tischen Gästen schon mal einen Picknickkorb auf, an dem sie sich selbst bedienen können.

Ich habe die New Yorker beobachtet, wie sie im Sommer vor unserem Restaurant im Madison Park picknickten und wollte dieses Ambiente ins Restaurant holen. Deshalb servierte ich ein Sommerbier, das ich mit einer Brauerei in Brooklyn herstellte, mit Bier gewaschenen Käse und natürlich Brezel. Denn meine Gäste sollen merken, dass sie in New York sind. Ich habe es nicht gern, wenn ich aus einem Restaurant komme und denke: Das hätte ich jetzt überall auf der Welt serviert bekommen können.

Daniel Humm kocht vom 29. September bis 3. Oktober im Restaurant des Zürcher Hotels Baur au Lac. Am 28. September verkauft er an einem Charity-Event auf dem Zürcher Bürkliplatz Gourmet-Hotdogs. Infos: http://www.bauraulac.ch

Ganzer Artikel mit Bildern

 

%d Bloggern gefällt das: