Journalist

Stars unter Tage

In «Sonntagsblick Magazin», Kultur on 23. August 2015 at 07:14
bild_adriatiqueBei Fans von elektronischer Tanzmusik sind Adriatique Superstars. Das DJ-Duo bereist von Zürich aus die Clubs der ganzen Welt. Und verdient dabei sehr gut.

Ein anonymer Wohnblock in der Einflugschneise des Flughafens Zürich. Adrian Shala (29) und Adrian Schweizer (27), gemeinsam Adriatique, sitzen in der Lounge ihrer schattigen Parterre-Wohnung und zünden sich die erste Zigarette des Tages an.

Es ist Freitag, elf Uhr Vormittag – eher früh für die beiden. Im Nebenraum steht ein modernes Tonstudio, das an ein Raumschiff-Cockpit erinnert: überall Knöpfe, Oszillatoren, Tasten. Logisch, elektronische Musik wird mit Strom erzeugt. Im hinteren Teil der Wohnung hat jeder der beiden ein Zimmer. Vor dem Fenster: eine triste Vorstadt-Szenerie, die so gar nichts mit der Welt zu tun hat, in der sich Adriatique am Wochenende bewegen.

Shala und Schweizer sind DJs und Stars einer Szene, die sich kommendes Wochenende an der Zürcher Street Parade aufs Neue feiert. Die Leute zahlen Geld, um zur Musikauswahl des Duos zu tanzen. Adrian Shala aus Bregenz und Adrian Schweizer aus Basel produzieren auch eigene Stücke – sie sind ihre Visitenkarten. Hauptsächlich legen sie aber Produktionen von anderen Künstlern auf. Und das sehr erfolgreich: 130 Auftritte in Clubs und an Festivals auf der ganzen Welt bewältigt der momentan heisseste DJ-Export der Schweiz pro Jahr. Das sind fast drei pro Wochenende. Letztes Jahr gab es noch den Swiss Nightlife Award in der Kategorie Best Electronica DJ.

Man spricht nicht über seinen Lohn, auch nicht als DJ

Wenn Adriatique auflegen, jubeln ihnen schon einmal achttausend Menschen zu – in der ersten Reihe stets ein paar junge Frauen mit schockverliebtem Gesichtsausdruck. Andere Fans, auch männliche, sprechen Shala (Single) und Schweizer (liiert) in Brooklyn, New York City, auf der Strasse an und wollen Fotos mit ihnen knipsen. Dabei läuft der Sound-Stil, für den Adriatique stehen, nicht in den Charts. Sondern nur in den Clubs.

Deep House wird er oft genannt. Hypnotisch, basslastig, melancholisch sind Adjektive, die Shala dafür braucht. «Für uns ist es einfach Techno, aber jeder kann es nennen, wie er will», sagt er. Und fügt schnell an: «Bitte einfach nicht EDM schreiben!» EDM steht für Electronic Dance Music. Die Abkürzung hat sich als Bezeichnung durchgesetzt für eine sehr kommerzielle Variante der elektronischen Tanzmusik, die mit David Guettas Überhit «When Love Takes Over» ins Rollen kam und seit Anfang der 2010er-Jahre die Hitparaden dominiert. Schätzungsweise 6,2 Milliarden Dollar werden heute jährlich mit EDM verdient. Der Industrie ist es indirekt zu verdanken, dass die vielen Menschen, die an riesige EDMFestivals reisen (160 000 waren es am «TomorrowWorld» bei Atlanta, USA), auf DJs wie Adriatique aufmerksam werden, die dort ihre komplexere Musik auf den kleineren Bühnen spielen, den sogenannten Underground-Stages.

Was verdient man nun eigentlich als Underground-DJ? Eine Frage, dieAdriatique nur ausweichend beantworten. Die Szene, in der sie sich bewegen, grenzt sich gegen den totalen Ausverkauf elektronischer Tanzmusik ab. Absahnen gilt da nicht unbedingt als cool. Vierstellig seien ihre Gagen in der Regel, sagen Adriatique, vereinzelt fünfstellig.

Laut Schweizer Szene-Insidern können DJs in der Liga von Adriatique4000 bis 5000 Franken für ein Set verlangen, das meistens zwei Stunden dauert. Hochgerechnet auf 130 Auftritte ergibt das Gagen in Höhe von schätzungsweise 520 000 bis 650 000 Franken pro Jahr. Underground zahlt sich aus.

Vom Elektriker zu Elektro, vom Bürogummi zum Star-DJ

«Mehr reisen als im Moment wollen wir nicht», sagt Shala, «das Limit ist erreicht.» Adriatique fliegen mehr als mancher CEO. Langstrecken wenn möglich in der Business-Klasse. «Wenn wir ankommen, müssen wir sofort funktionieren», sagt Schweizer.

Es kann vorkommen, dass das Wochenende in Holland beginnt, in Kanada weitergeht und in Florida endet. Adriatique sind wochenlang durch Nord- und Südamerika getourt, haben im Libanon aufgelegt, in Kopenhagen, Israel und Kolumbien. Adrian Shala: «In Bogotá waren die Türsteher zwei Milizen mit Maschinenpistolen.»

Mit dreizehn Jahren habe er seine ersten Plattenspieler bekommen, sagt Schweizer. Den ersten Club-Auftritt hatte er mit 16. Zwei Jahre später war er schon voll im Business, legte schweizweit eine Art Elektro auf, die heute nicht mehr gespielt wird. Für ein sehr junges Publikum. «Irgendwann bin ich herausgewachsen und wollte etwas Neues starten.» Ausschlaggebend sei ein Besuch im Club DC 10 auf Ibiza gewesen. Was Paris für die Mode, ist die Balearen-Insel für den Techno. Wer in einem der grossen Clubs spielt, hat es geschafft. «In meinen Kreisen verehrt man das DC 10», sagt Schweizer. «Es hat die beste Anlage, die beste Crowd und den besten Sound. Ich stand auf der Tanzfläche und sagte mir: Eines Tages legst du hier auf.»

Er tat sich mit Shala, seinem besten Freund, zusammen, den er 2008 in einem Club in Deutschland kennengelernt hatte. Beim Auflegen – wo sonst. Sie gründeten Adriatique. Mit einer eigenen Partyreihe im Zürcher Club Supermarket brachten sie sich in der lokalen Szene ins Gespräch. Der internationale Durchbruch kam mit einem selbst produzierten Stück, das bei einem erfolgreichen Hamburger DJ mit eigenem Plattenlabel Anklang fand.

Damals arbeiteten Schweizer, der ursprünglich Elektriker gelernt hat, und Shala, Absolvent einer Wirtschaftsmatur, hauptberuflich bei einem privaten Paketlieferdienst. Beide hatten anspruchsvolle Büro-Jobs, die sie langweilten. Schweizer: «Für mich war das Leben als Angestellter ein einziger Leidensweg. Ich habe Mühe, mir von jemandem Anweisungen geben zu lassen. Erst recht, wenn er weniger Ahnung hat als ich.»

Heute geben sich Schweizer und Shala nur noch gegenseitig Anweisungen. Schweizer, der perfektionistische Eigenbrötler und kreative «Spinner» des Duos, bezeichnet sich selbst als Spassbremse. «Ich konsumiere im Club keinen Alkohol und kann mich nur gehen lassen, wenn die Soundqualität der Anlage stimmt.»

Shala lenkt die kreativen Impulse seines Partners in Bahnen, pflegt Beziehungen und stellt sicher, dass beide den nächsten Flug erwischen. Selbst wenn Shala nach einem Gig auch mal weiterfeiert.

Diese Saison legen Adriatique einmal pro Monat auf Ibiza auf. Im DC 10 – dem Club, von dem sie immer geträumt haben.

Adriatique, am Freitag, 28.8., um 22 Uhr am Zürich Openair, das am Street-Parade-Wochenende ein tolles Techno-Programm bietet.

Ganzer Artikel mit Bildern

%d Bloggern gefällt das: