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«Der Perverse der Herzen»

In «Sonntagsblick Magazin», Kultur on 2. August 2015 at 15:41
bild_watersJohn Waters (69) stellt in Zürich aus: Der amerikanische Skandalregisseur und Künstler über reiche Schweizer, Rassenkonflikte und den Tod seiner Mutter.

Herr Waters, man bezeichnet Sie als King of Trash. Wie gefällt Ihnen das?

John Waters: Oh, ich werde als vieles bezeichnet. Mein Favorit ist im Moment «Der Perverse der Herzen». All diese Bezeichnungen werden mit humorvollem Respekt geäussert.

Das Kunsthaus Zürich zeigt eine Ausstellung mit Fotos und Objekten aus Ihrer Hand. Man kennt Sie eigentlich vor allem als Filmregisseur.

Ich bin Autor, schreibe Drehbücher und Romane. Auch die Art, wie ich Kunst mache, ist eine Art des Schreibens: Ich fotografiere zum Beispiel Bilder vom Fernseher ab und ordne sie so an, dass eine neue Geschichte entsteht.

Die Werke stammen aus der Sammlung des Zürchers This Brunner. Er brachte in den 1970er-Jahren Studiofilme in die Schweiz – darunter auch Ihre Filme.

This hat mir viel über die Kunst beigebracht und mich auch Schweizer Künstlern wie Fischli/ Weiss vorgestellt. Er ist mein grösster Sammler und bester Freund. Meine Mutter wollte immer, dass ich ihn heirate.

Weshalb haben Sie es nicht getan?

Erfolgreiche schwule Männer, die in der Kunst- und Unterhaltungsbranche arbeiten, heiraten nicht untereinander. Mein Partner kommt aus einer ganz anderen Branche.

Aus welcher?

Weil mein Partner nicht aus dem Showbiz kommt, will er auch nicht, dass ich etwas über ihn in Interviews erzähle. Tut mir leid.

Reden wir über Ihren Film «Pink Flamingos», der 1974 in Zürich verboten wurde. Wie stehen Sie zur Schweiz?

Ich verbringe immer eine tolle Zeit dort. Jede Weihnachten bin ich in Gstaad, was das komplette Gegenteil von Baltimore ist, wo ich herkomme. Als Amerikaner bin ich jeweils regelrecht schockiert, welch guten Geschmack reiche Leute in Ihrem Land haben. In den USA kaufen vermögende Menschen Cabriolets, in der Schweiz Kunst.

Die Schweizer Behörden befanden «Pink Flamingos» als zu vulgär. In einer berühmten Szene isst ein Schauspieler echten Hundekot.

«Pink Flamingos» ist ein Punk-Film, obwohl es Punk damals noch gar nicht gab. Ich wollte die Hippies in ihrer «Love and Peace»-Korrektheit erschrecken. Aber es hat nicht funktioniert, sie kamen in Scharen ins Kino.

Es gibt Ton-Mitschnitte aus Kinosälen, auf denen hysterisch kreischende Zuschauer zu hören sind. Ich frage mich, wie man heute solche Emotionen provozieren könnte.

Es hat sicher geholfen, dass damals 100 Prozent der Zuschauer auf Marihuana waren. Meine Filme waren Midnight Movies, die man sich gemeinsam spätnachts ansah. Es gab ja noch kein Video.

Ihr verstorbener Jugendfreund Glenn Milstead spielte als Drag-Queen Divine in fast allen Ihrer Filme die weibliche Hauptrolle. Wie haben Sie ihn in Erinnerung?

Divine wollte nicht als Frau durchgehen, sondern als Monster. Er wollte Godzilla sein, nicht Marilyn Monroe.

Wohl auch nicht Caitlyn Jenner, die zurzeit berühmteste Transfrau der Welt.

Nicht wirklich. Ich empfinde Jenner auch nicht als besonders progressiv. Ich bin auf der Seite von Chelsea Manning, ehemals Bradley Manning, die in Zusammenhang mit der Wikileaks-Affäre im Gefängnis sitzt. Sie hat die US-Regierung verklagt, bis diese ihr eine Geschlechtsanpassung bezahlen musste. Manning hat keinen Stylisten und wird nicht von Starfotografin Annie Leibovitz beleuchtet.

Jetzt spricht Ihre berühmte böse Zunge.

Alle sagen, ich dürfe mich nicht über Caitlyn Jenner lustig machen. Aber erstens ist die Frau Republikanerin, zweitens spielt sie in einer Reality-Show mit, drittens gehört sie zum Kardashian-Clan. Wenn man da keine Witze machen darf, weiss ich auch nicht.

Was haben Sie gegen Reality-Shows?

Ich sehe sie als niederste Form von Unterhaltung. Sie verlangt vom Zuschauer, dass er sich den Leuten, die darin mitspielen, überlegen fühlt.

Ihr bekanntester Film «Hairspray» kritisiert Rassendiskriminierung in den USA, speziell in Ihrer Heimatstadt Baltimore. Erst kürzlich kam es dort zu Unruhen, weil ein Schwarzer wegen der Polizei ums Leben kam. Was löst das in Ihnen aus?

Es ist kompliziert. Ich lebe in einem weissen Viertel, wo man von all dem nichts mitbekommt. Wir sollten einmal pro Jahr dazu verpflichtet werden, ein paar Tage in eine gegensätzliche Nachbarschaft zu ziehen, dort zum Coiffeur zu gehen, einen Drink in einer Bar zu nehmen und unsere Kinder zur Schule zu schicken. In den USA weiss niemand etwas über Menschen in anderen Vierteln, weil niemand sein eigenes verlässt.

Darin sind Sie anders: Ihr Herz schlägt seit jeher für Underdogs aus der Arbeiterklasse, ihnen haben Sie in Ihren Filmen ein Gesicht gegeben. Wie sind Sie selbst aufgewachsen?

Eher in der oberen Mittelklasse. Gerade, weil ich nicht zur Arbeiterklasse gehöre, fasziniert sie mich vielleicht so sehr. Ich war schon immer interessiert an Dingen, die ich nicht hundertprozentig verstehe.

Wann hat Ihre Faszination für das Düstere, Schräge begonnen?

Schon als Kind. Ich stand stets auf der Seite der bösen Hexe. Bei «Peter Pan» war ich für Captain Hook. Helden haben mich nie interessiert. Ich schrieb blutrünstige Horror-Storys und las sie im Klassenlager vor. Eltern riefen an und beklagten sich. Eigentlich bin ich noch genau so, wie ich mit zwölf Jahren war. Mit dem Unterschied, dass ich heute davon leben kann.

Wie kam das bei Ihrer Familie an?

Meine Eltern ahnten schon früh, dass ich irgendwann im Showgeschäft landen werde. Sie hätten sich einfach eine andere Ecke des Showgeschäfts gewünscht.

Wie meinen Sie das?

Nun ja: Nehmen wir Divine. Welche Eltern sind schon derart liberal, dass sie sich darüber freuen, wenn ihr Sohn Hundescheisse isst? Solche Dinge bewegen sich jenseits jeglicher Akzeptanz.

Ihre Mutter starb vergangenes Jahr. Sie standen ihr sehr nahe. Wie schwer ist Ihnen der Abschied gefallen?

Meine Mutter ist 90 geworden und hatte ein tolles Leben – abgesehen von den letzten beiden Jahren, in denen war sie sehr krank. Man kann also nicht von einer Tragödie sprechen. Natürlich war es hart für mich, als sie starb. Wenn ich aus einem anderen Land nach Hause zurückkehre und aus dem Flugzeug steige, denke ich noch heute jedes Mal: Ich sollte Mom anrufen. Ende Jahr zollt mir das British Film Institute mit einer grossen Retrospektive in London Tribut. Meine Mutter liebte England und Queen Elizabeth. Sie wäre so stolz gewesen.

Und Ihr Vater?

Er sicher auch. Er starb mit 91 Jahren, meine Eltern führten eine glückliche, 70 Jahre dauernde Ehe. Zwischen ihnen und mir blieb nichts ungesagt. Sie liebten mich, ich liebte sie. Ich habe grosses Glück: Meine Eltern gaben mir immer ein Gefühl von Geborgenheit.

Haben Sie Angst vor dem Altern?

Nachdem ich das mit meiner Mutter durchgemacht habe, mache ich mir schon Gedanken. Ich habe keine Kinder, und meine Freunde sind gleich alt wie ich. Lass uns hoffen, dass ich später genug Geld besitze, um mir jemanden leisten zu können, der mich die Treppe hochträgt.

So weit ist es zum Glück noch nicht, im Gegenteil. Kürzlich sind Sie per Anhalter quer durch die USA getrampt: ganz alleine. Warum tun Sie sich das mit 69 an?

Ich brauchte das Abenteuer – mein Leben wurde gerade ein wenig zu planmässig.

Was war das Unangenehmste am Trampen?

Definitiv das Warten. Ich hätte mir nie vorstellen können, dass es zwölf Stunden dauert, bis mich jemand mitnimmt. Dafür waren die Leute alle so nett, hilfsbereit und smart. Sogar im Mittleren Westen! Ich war echt überrascht. Ich habe nicht das Gefühl, mich verändert zu haben – aber die Welt um mich herum hat es offensichtlich getan. Jeder kann über sich lachen, und niemand wird mehr wütend wegen dem, was ich mache. Ich finde das entzückend.

Liegt es vielleicht daran, dass man Ihnen Respekt vor dem Alter entgegenbringt?

Kann schon sein. Wenn ich mit meiner One-Man-Show auftrete, geben mir die Leute ja inzwischen schon Standing Ovations, kaum habe ich die Bühne betreten. Ohne, dass ich ein Wort gesagt habe.

Wie reisen Sie, wenn Sie nicht trampen?

First Class mit dem Flugzeug. Und mit einem Fahrer, der mich am Flughafen abholt. So fuhr ich von meinem Autostopp-Abenteuer wieder nach Hause.

Warum haben Sie eigentlich seit zehn Jahren keinen Film mehr gemacht?

Weil mir keiner mehr Geld gibt, nachdem mein letzter Film nicht gut lief. Und mein letztes Buch schaffte es auf die Bestsellerliste der «New York Times». Man macht das, womit man am erfolgreichsten ist. Die Leute fragen mich oft, warum ich nicht wieder Low-Budget-Filme mache, wie am Anfang meiner Karriere. Ich antworte darauf jeweils: «Ich möchte kein Underground-Filmemacher mehr sein. Ich habe mittlerweile drei Wohnsitze und vier Angestellte. Ich muss Rechnungen bezahlen!»

Provokateur mit Bleistift-Schnauz

Er gilt als Enfant terrible des Kinos, hat mit Low-Budget-Filmen wie «Pink Flamingos» (1972) oder «Polyester» (1981) die Grenzen des sogenannt guten Geschmacks ausgelotet. In den 1990er-Jahren drehte John Waters grössere Produktionen mit Stars wie Johnny Depp. Waters bekanntesten Film «Hairspray» (1988) gibts als Remake und als Erfolgsmusical. Ausserdem macht er Kunst, schreibt Bestseller und tritt als Schauspieler auf. Sein Markenzeichen: der Bleistift-Schnauz. Waters lebt in Baltimore, New York und San Francisco.

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