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«Ich bin eine Disco-Diva» 

In «Sonntagsblick Magazin», Kultur on 3. Mai 2015 at 13:46
bild_murphySie war Sängerin von Moloko, der coolsten Band der Jahrtausendwende. Jetzt ist die Irin Róisín Murphy nach einer langen Pause zurückmit einem neuen Solo-Album. 

Seit zehnJahren ist Róisín Murphy (41) solo unterwegs– und hat nach acht Jahren Pause ihr neues Album «Hairless Toys» am Start. Murphy, deren irischer Vorname «kleine Rose» bedeutet, war Sängerin Des Erfolgsduos Moloko («Sing It Back»), das sie 1995mit ihremdamaligenFreund gründete. Bis zur Trennung 2003 gab es keine andere britische Band, die Dance Music und Funk humorvoller verband.

Róisín Murphy, seit Ihrem letzten Album sind Sie zweimal Mutter geworden. Wie hat Sie das verändert?

Róisín Murphy: Ich weiss jetzt, was Geduld bedeutet. Allerdings hasse ich diese langweiligen Interviews, in denen Leute übers Elternsein sinnieren. Aber um Ihre Frage zu beantworten: Kinder zu kriegen hat mich nicht verändert. Ich wollte immer welche haben. Weit mehr verändert hätte mich, wenn ich jetzt, mit 41, noch keine gehabt hätte. Dann wäre ich total enttäuscht.

Ihre Kinder Clodagh und Tadhg sind fünf- und zweijährig. Singen Sie für sie?

Oh ja, aber sie mögen es nicht. «Pssst, Mama!», sagen sie dann Und ich antworte: «Hört mal, mein Gesang ist sehr beliebt!»

Ihre Fan-Basis ist tatsächlich gross, obwohl Sie sich nie nach dem Markt richten. Ihre letzte Veröffentlichung war ein Mini-Album mit Coverversionen. Wie zahlt sich das aus?

Ich lebe ganz okay. Mittelklasse-Musikerinnen wie mich gibts sehr wenige, denn in diesem Geschäft ist man entweder niemand und arm – oder berühmt und reich. Bei mir hat sich das irgendwo dazwischen eingependelt.

Sie haben Minimal-Pop vor allen anderen gemacht und trugen exzentrische Kostüme als noch niemand von Lady Gaga sprach. Wurmt es Sie, dass Sie nicht berühmter sind?

Natürlich gibt es Tage, an denen ich darüber nachdenke – ich bin auch nur ein Mensch. Aber ich renne nicht herum und sage: «Ja, es regt mich verdammt nochmal auf, dass ich kein fucking Superstar bin!» Denn meine Situation hat ja auch grosse Vorteile.

Welche?

Mir sitzen die Chefs einer Plattenfirma nicht im Nacken und schauen mir väterlich dabei über die Schulter, was ich mache. Ich kontrolliere jeden Aspekt meines Schaffens eigenhändig. Seit neustem drehe ich sogar meine Videos selbst.

Alles nur l’art pour l’art?

Natürlich bin ich darauf angewiesen, dass die Leute zumeinen Konzerten kommen. Und solange mich noch ab und zu ein russischer Oligarch als DJ engagiert, ist alles in Ordnung.

Wie sehr leiden Sie darunter, dass Ihre Musik günstig im Netz angehört werden kann?

Überhaupt nicht, denn mit Plattenverkäufen habe ich noch nie viel Geld verdient. Hingegen bietet mir das Internet Millionen neuer, fantastischer Möglichkeiten. Für mein neues Album hatte ich zum Beispiel keinen Vertrag, bis es fixfertig war. Und ich wusste: Es gibt immer eine Möglichkeit, es zu veröffentlichen, egal, wie massentauglich es wird.

Das Album ist etwas nachdenklicher als Ihr letztes, bleibt aber tanzbar.

Ich finde, das Album kling sehr nach Livemusik. Ich habe es mit einem Musiker geschrieben und aufgenommen, mit dem ich seit 20 Jahren für Bühnenauftritte zusammenarbeite. Das Tanzbare kommt bei mir immer gratis mit dazu. Ich bin nun mal eine Disco-Diva. Die Club-Szene ist tief in mir verwurzelt.

Wo liegen diese Wurzeln?

In Sheffield, wo ich hinzog, als ich 20 war. Ich lebte mit drei Mädchen in einer WG, war umgeben von Freunden, wir gingen aus, machten Kunst, entdeckten die Welt und fühlten uns wie eine Familie. Es war wunderbar.

In dieser Zeit lernten Sie auch Ihren damaligen Freund Mark Brydon kennen, mit dem sie die Band Moloko gründeten. Haben Sie beide noch Kontakt?

Nein.

Blur, eine andere Band, die zu jener Zeit berühmt wurde, hat eben ein Reunion-Album herausgebracht. Ist eine Wiedervereinigung von Moloko wenigstens eine Möglichkeit?

Molokowar niemals so berühmt wie Blur. Es würde folglich auch nicht so viel Geld für uns herausspringen. Für mich gibt es auch keinen kreativen Grund, uns wieder zusammenzutun. Ich geniesse es, Solokünstlerin zu sein.

Sie sind die Sängerin mit den abgefahrensten Tanzbewegungen. Woher kommt dieses Feuer, sobald Sie auf die Bühne treten?

Keine Ahnung, denn ich bin nicht wirklich bei Bewusstsein, wenn ich auftrete. Ich singe, tanze, ziehe mich um, posiere und spreche zum Publikum, ohne dass ichmich nachher gross daran erinnere. Viele meiner Songzeilen kann ich im Alltag nicht abrufen, auf der Bühne sind sie dann einfach da. Es fühlt sich an, wie wenn ich mich von einer Klippe werfe, und den freien Fall geniesse.

Eine Ihrer Songzeilen lautet: Unterschätze niemals kreative Menschen und die Tiefen, in die sie sich begeben! Was meinen Sie damit?

Wenig kann sich einem Kreativen in den Weg stellen, wenn er etwas erschaffen will. Wir sind sehr gut darin, in den Tunnelblick-Modus zu wechseln und nur noch das eine Ding zu sehen, mit dem wir uns beschäftigen: unsere Kunst. Das kann sehr schwierig sein für die Leute um einen herum. Sie können das Gefühl haben, nicht mehr geliebt zu werden.

Wie reagieren Ihre Kinder darauf?

Bis jetzt beklagen sie sich nicht. Aber wir werden abwarten müssen, bis sie erwachsen werden und sagen, dass sie mich hassen (lacht).

Wer schaut zu den beiden, wenn Sie auf Tour gehen?

Mein brillanter Freund und Vater meines zweites Kindes. Er ist Musikproduzent und verbringt viel Zeit zu Hause.

Was machen Sie an einem normalen Tag, wenn Sie nicht arbeiten?

Ich bin mit einem Italiener zusammen – unsere Freizeit verbringen wir hauptsächlich damit, uns zu überlegen, was wir kochen, mit Einkaufen und natürlichmit Essen selbst. Er ist ein fantastischer Koch.

Was ist das Beste, was er für Sie zubereitet?

Ich mag es, wenn er Risotto macht, denn das gibt es nur sehr selten. Meistens ist er zu faul, 45 Minuten rührend am Herd zu stehen.

Klingt nach einem ziemlich beschaulichen Leben für eine Disco-Diva.

Ja, ich bin ruhiger geworden. Ich habe sogar aufgehört, zu rauchen.

«Hairless Toys» erscheint am 8. Mai. Am 5. Juni 2015 tritt Róisín Murphy um 20 Uhr im Kaufleuten Zürich auf.

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