Traditionalisten nennen es fasten, Modernisten entgiften: Der bewusste Verzicht auf Nahrung ist sehr modern. Magazin-Autor Jonas Dreyfus hat mitgehungert.
Der erste Tag ist hart. Um – pardon – nicht zu sagen verschissen. Wer fasten will, muss erst einen körperlichen Frühlingsputz hinter sich bringen. Ein inneres Bad nehmen, wie es im Fasten-Slang heisst. Das «Bad» besteht aus einem Liter warmem Salzwasser. Dieses gilt es in nur zehn Minuten zu schlucken. Danach heisst es: abwarten.
Ich wollte endlich mitreden können, wenn andere wieder mal von den Auswirkungen des Fastens schwärmten: tieferer Schlaf, strahlendere Haut, bessere Figur. Also fasse ich den Plan: zwei Wochen lang Verzicht auf jegliche feste Nahrung. Zitronensaft statt Schnitzel. Mittagsspaziergang statt Mittagessen. Anfang Jahr ist der richtige Moment, schliesslich verfallen in dieser Zeit erstaunlich viele in einen Abstinenz-Rausch.
Wasser trinken und hungern: Einst hatte die Fasterei religiöse und spirituelle Motive – meine Generation, ich bin 37, peilt andere Ziele an. Manche halten ihre Art von Ramadan, andere verzichten auf Süsses, Frauen mit Traumfiguren legen Saft- und Bouillon-Tage ein. Als Trendsetter «detoxt» und «entgiftet» man, um sich vom Ballast vorgängiger Völlerei zu entledigen. Was damit bezweckt werden soll, entscheidet jeder für sich selbst.
Die Gewichtsabnahme ist nur eine Begleiterscheinung, wenn auch eine willkommene. In zwei Wochen verlor ich acht Kilo. Gemerkt hats keiner – ich war vorher schon schlank. Die fünf Jeans (ein Modell in fünf Farben), die ich mir aus den USA hatte mitbringen lassen und die viel zu eng sassen, trage ich nun täglich. Grund für den Gewichtsverlust ist das extreme Behandlungs-Programm, das ich wählte: die Zitronensaft-Kur.
Der Kühlschrank ist leer, der Kopf voller Erwartungen
Die «Master Cleanse», wie sie auf Englisch heisst, kommt aus den USA, wo sie auch «Beyoncé-Diät» genannt wird. Die Sängerin hat sie für ihre Rolle im Film «Dreamgirls» gemacht, um ins Kostüm zu passen. Eine zweifelhafte Werbeträgerin, denn Tom Woloshyn, der die in den 1940er-Jahren entworfene Methode erfolgreich weiterentwickelte, hat wenig mit Promis am Hut. Auf Fotos sieht er leicht verdorrt aus. Wie einer, der mehr fastet als isst. «Die Master Cleanse gehört zu den einfachsten, effektivsten und preiswertesten Reinigungs- und Heilprogrammen, die es gibt», schreibt Woloshyn in seinem so eben auf Deutsch erschienenen Bestseller «Die Zitronensaft-Kur». Ein grosses Versprechen – wir werden sehen.
Der Start. Der Kühlschrank ist leer, der Kopf voller Erwartungen, das Herz etwas bange. Was wird passieren? Ich weiss: Das Einzige, was ich in den nächsten zwei Wochen zu mir nehmen darf, ist eine Limonade aus Zitronensaft, Ahornsirup und Cayennepfeffer. Zitronensaft enthält Vitamin C und wirkt schleimlösend. Ahornsirup versorgt den Körper mit Energie und enthält tonnenweise andere gesunde Sachen. Genauso wie Cayennepfeffer, der von «Herbalisten» als «King of Gewürze» gefeiert wird, wie Woloshyn schreibt.
Der Pfeffer kurbelt den Kreislauf an, wirkt schmerzstillend, soll Katalysator sein und die Wirkkraft der Kräuter beschleunigen. Alle Zutaten werden mit Wasser verdünnt.
Davon trinkt man während der Kur so viel wie möglich, damit der Körper nicht austrocknet. Tee ist auch okay, sofern nicht schwarz. Kaffee ist tabu, Alkohol erst recht.
Am ersten Tag schmeckt die Limonade recht ordentlich. Wie ein Sidecar ohne Bourbon. Man soll den Mix immer dann trinken, wenn Hunger aufkommt, sagt Woloshyn. Also rede ich mir ein: Die gelbliche Flüssigkeit ist nun mein Essen, und ich mache mir in Selbstgesprächen Mut, sobald der Magen knurrt: «Na gut, dann essen wir noch was.» Das klappt nicht immer. In solchen Momenten wächst die Wut, und die Frage wird übergross: Warum bloss tue ich mir das an? Genau: für tieferen Schlaf, strahlendere Haut, bessere Figur. Entgiftungs-Programme sind medizinisch umstritten. Dass man den Körper durchputzen kann wie eine Kaffeemaschine, ist nicht erwiesen. Auch die sogenannte Schlacke ist nur ein vager Begriff.
Man könne nicht sagen, welche Gifte wo und wie im Körper abgelagert oder zurückbleiben, sagen selbst Fastenspezialisten. Unterm Strich seien Menschen aber gesünder und würden länger leben, wenn sie regelmässig fasten. Also weitermachen.
Das Gefühl, Fasten-Opfer zu sein, kommt und geht. Mal fühlt man sich stark, dann wieder träumt man von saftigen, saignant gebratenen Burgern. Am schlimmsten war der erste Tag bei der Arbeit. Das Hungergefühl verflüchtigte sich zwar schnell, die Sehnsucht nach den kleinen Freuden des Alltags, auf die man beim Fasten verzichten muss, blieb: der 9-Uhr-Kaffee, der Lunch mit den Kollegen. Was macht man bei minus fünf Grad über Mittag, wenn man nichts essen darf? Man arbeitet. Da sitze ich also zu Mittag alleine im Grossraumbüro. Ich werde zur mit Limo betriebenen Arbeitsmaschine. Juhui!
Wo aber bleibt die Fasten-Euphorie, die mir versprochen wurde? Ab dem zweiten Arbeitstag fühle ich mich zwar ausgeruht und glücklich – aber das Bad in Glückshormonen ist mir nicht vergönnt. Vielleicht fehlt mir die Fallhöhe: Ich esse im Alltag ohnehin in Massen, deshalb bin ich auch nicht übermässig stolz auf mich, nun gänzlich auf Essen zu verzichten.
Geruchssinn geschärft wie bei Grenouille aus «Das Parfum»
«Statt zu fasten, kannst du dir auch mit dem Hammer auf den Finger hauen und dich darüber freuen, wenn er langsam abschwillt», sagt mein Vater, auch er hat die Zitronensaft-Kur vor Jahren ausprobiert. «Man sieht es bis heute», sagt er lachend und tätschelt seinen wohlgenährten Bauch. Tom Woloshyn empfiehlt nicht ohne Grund, niemandem von seiner Fastenkur zu erzählen, denn die Reaktionen der Mitmenschen sind nicht immer motivierend. Manche sacken förmlich in sich zusammensacken, erzählt man ihnen vom Nicht-Essen.
Ungewollt werde ich zum Mahnmal vieler gescheiterter Vorsätze: Wie oft haben viele sich mit schlechtem Gewissen vorgenommen, auch mal «etwas in diese Richtung» zu machen. Woloshyn hat recht: Schweigen ist Gold.
Immerhin: Der Geruchssinn ist geschärft – isst einer vor mir im Tram eine Mandarine, blähen sich meine Nasenflügel wie bei Grenouille aus dem Roman «Das Parfum». Zudem fällt es mir einfacher, Prioritäten zu setzen. Man kann es auch fokussieren nennen. Oder haushalten mit reduzierten Kräften. Der Fasten-Schlaf ist komatös, er lässt sich an- und abknipsen wie eine Leuchte. Nur einmal schrecke ich aus einem Albtraum hoch. Ich hatte geträumt, «aus Versehen» etwas gegessen zu haben. Horror!
Die Kur verspricht vieles: unter anderem «mehr geistige Klarheit». Ich müsste lügen, hätte ich irgendetwas davon bemerkt. Was ich stattdessen gelernt habe: Wie verzichtbar Dinge sind, die ich als absolut notwendig betrachtet hatte: der Espresso und das Gipfeli, um überhaupt in den Tag starten zu können. Das Wissen darum, dass vieles verzichtbar ist, macht mich ein bisschen freier.
Rückblickend erscheinen mir die zwei Wochen Fasten aber wie ein grosses, graues Loch. Vor wenigen Tagen habe ich nach der Kur zum ersten Mal wieder gegessen. Einen Brei aus eingeweichten Dörr-Aprikosen und zerkochten Hirseflocken. Das viel beschriebene Geschmacksfeuerwerk blieb aus.
Bis jetzt leider auch der Appetit. Wenn Sie ihn sehen, richten Sie ihm bitte aus, er soll sich wieder blicken lassen!
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