Als Kind musste er am eigenen Leib erfahren, was Demütigung ist. Deshalb versteht Basil Fernando die Menschen, für deren Rechte er seit dreissig Jahren kämpft.
Ich kämpfe seit dreissig Jahren für Menschenrechte in Asien und werde oft gefragt, was mich antreibt. Ich glaube, wenn man mit einem offenen Herzen lebt und realisiert, wie viele Menschen stark leiden, dann merkt man schnell, dass man sein Leben nicht einfach weiterführen kann, ohne zu helfen.
Ich wuchs in Sri Lanka auf, als das Land durch eine lange, instabile Phase ging. Anfang Siebzigerjahre studierte ich an der University of Ceylon. Ein Jahr vor meinem Abschluss fand ein Aufstand junger Menschen aus ländlichen Gebieten gegen die Regierung statt. Der Campus wurde geschlossen, die Studenten heimgeschickt. Vor dem Haus, in dem ich wohnte, befand sich ein Kanal, den die Holländer während der Kolonialzeit gebaut hatten. Ich sah Leichen im Wasser rauf und runter schwimmen. Fast zehntausend Menschen wurden vom Regime umgebracht. Das hat mich schockiert und geprägt. Ich war kurz davor, Anwalt zu werden und ausgebildet im Recht. Aber in meinem Land nützte das diesen Leuten nichts. Sie wurden illegal getötet und inhaftiert. Und ich konnte nichts dagegen tun.
In meinem Dorf gab es Kasten: hierarchisch aufgebaute Gruppen, in die man hineingeboren wird. Ich komme aus einer durchschnittlichen srilankischen Familie, gehöre zu einer niedrigen Kaste und bekam das zu spüren. Vor allem an ein Ereignis erinnere ich mich lebhaft: Ein Würdenträger besuchte unsere Schule. Ich hatte mit einem jungen Lehrer, der von ausserhalb kam, eine Willkommensrede vorbereitet. Als es so weit war, wartete ich, bis ich an die Reihe kam. Es hatten sich viele Menschen versammelt, sogar mein Vater war gekommen. Aber mein Name wurde nie aufgerufen. Jemand hatte interveniert, weil es meiner Kaste untersagt ist, vor Publikum zu sprechen. Ich war acht Jahre alt.
Es ist sehr demütigend, wenn man als Kind in der Schule anders behandelt wird. Wenn ich eine gute Prüfung schrieb, berechneten Lehrer die Noten extra so, dass ich nie der Beste sein konnte. Wenn ich heute zurückschaue, bin ich glücklich, dass ich diese Erfahrungen gemacht habe. Dadurch ist es mir möglich, die Mehrheit der Leute aus meinem Land zu verstehen. Wie auch die Mehrheit der Leute in Südasien, für deren Rechte ich mich einsetze. Ich verstehe ihre Sprache, ihre Gestik und ihren Kampf um Würde. Viele meiner Kollegen erzählen mir, dass sie eine Distanz spüren, wenn sie mit Menschen in Entwicklungsländern zusammentreffen. Ich spüre diese Distanz nicht.
Ich habe Tausende Aussagen von Folteropfern mit einem Team zusammengetragen. Um die schrecklichen Geschichten verarbeiten zu können, haben wir einen Psychologen beigezogen. Es hilft mir zu wissen, dass ich den Folteropfern Gehör verschaffen kann, wenn ich ihre Aussagen publik mache. Wenn wir ihnen nicht helfen, tut es niemand. Wenn du in Sri Lanka mit dem Gesetzt in Konflikt kommst, ermittelt die Polizei nicht. Wenn du zufälligerweise doch das Glück hast und sich ein Gericht um deinen Fall kümmert, dauert das Verfahren rund dreizehn Jahre.
Man könnte annehmen, dass man bei meiner Arbeit den Glauben an die Menschheit verliert. Aber es sind nicht die Menschen, die schlecht sind, sondern die primitiven Systeme, in denen sie leben. Die Entwicklungsländer sind noch nicht in der Moderne angekommen. Man muss sich vor Augen halten, dass Milliarden Menschen noch in Hütten leben. Ein Teil der Menschheit bewegt sich per Flugzeug fort, ein anderer per Pferdekarren.
In primitiven Systemen werden primitive Mittel angewandt. Wenn du nicht foltern willst, verlierst du deinen schlecht bezahlten Job, bei dem du mit Folter etwas dazuverdienen kannst. Leute bezahlen dich dafür, dass du ihren Nachbar folterst, weil sie eine Rechnung mit ihm offen haben. Oder dafür, dass du ihren Sohn verschonst. Es ist eine schreckliche Art zu leben.
Der Kampf für Menschenrechte ist einer für Rechtssysteme, die für die Öffentlichkeit arbeiten und nicht gegen sie. Der Unterschied zwischen entwickelten und unterentwickelten Ländern hat nichts mit Geld zu tun, sondern mit der Existenz eines Systems, in dem man sich grundlegend sicher fühlen kann. Das entscheidet, ob man ein Leben voller Angst lebt oder hoffnungsvoll in die Zukunft blickt.
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