Da stand ich also in einem überfüllten Café und wartete auf den Auftritt meines grössten Helden. Er hiess Calvin Johnson, kam aus Olympia im Bundesstaat Washington und hatte mich mit seinen Songs dazu inspiriert, Musiker zu werden. Ich hatte ihm Fanbriefe geschickt, später Demo-Tapes und immer wieder beim Sekretariat der Plattenfirma, die ihm gehörte, angerufen.
Manchmal nahm er sogar selbst das Telefon ab. Dann sagte ich ihm, wie sehr ich ihn bewundere. Und dass er bitte meine Band unter Vertrag nehmen solle. Das war ziemlich nervig von mir, aber er war nachsichtig und dachte sich wahrscheinlich: Dieser Junge möchte wohl einfach meine Stimme hören.
Ich war damals achtzehn Jahre alt, hatte noch kein Album veröffentlicht, geschweige denn Kunst ausgestellt. Bloss ein Teenager aus Manhattan, der sich mit seiner Gitarre der Anti-Folk-Szene des New Yorker East Village angeschlossen hatte.
Calvin Johnson sollte an diesem Tag a cappella singen, also ohne Instrumente. Als Vorprogramm hatte er einen seiner Schützlinge mitgebracht, einen jungen Typen namens Jason Traeger. Ich kannte seine Musik, mochte sie aber nicht.
Traeger kam auf die Bühne und begann sofort, herablassend aufs Publikum einzureden, fast zu predigen. Ich weiss nicht, auf welchem Trip er war. Auf jeden Fall erklärte er seine «Philosophie des Planeten». Dass dieser Planet «ein einziger lebender Organismus» sei und so weiter. Schlichtes Zeug, das sicher jedem schon einmal durch den Kopf gegangen ist, der sich nur ein bisschen Gedanken über unser aller Existenz gemacht hat. Traeger allerdings dachte, er haue uns mit seinen simplen Weisheiten aus den Socken.
Ich hasste ihn in diesem Moment. Für mich war er einfach ein Gleichaltriger, der glaubte, er sei etwas Besseres als ich. Jemand muss etwas unternehmen, dachte ich und rief deshalb aus dem Publikum hoch zur Bühne: «Sprich nicht mit uns, als wären wir ein Haufen Idioten! Mir wird schlecht, wenn ich mir das noch länger anhören muss!»
Der Raum hielt die Luft an. Alle glotzten mich an wie einen zähnefletschenden, tollwütigen Waschbären. «Was ist denn so toll an DIR?», schrie Traeger zurück. «Lass mich einen Song spielen», antwortete ich, «dann wirst du es schon sehen.»
Calvin Johnson hatte sich das ganze Theater vom Bühnenrand aus mitangesehen. So stieg ich also vor den Augen meines Kindheitsidols, dessen persönlichen Schützling ich gerade vor allen kritisiert hatte, auf die Bühne und spielte einen eigenen Song: «Steak For Chicken» von den Moldy Peaches, meiner damaligen Band. Ich spielte, als ginge es um mein Leben.
Als ich fertig war, hätte man eine Nadel auf den Boden fallen hören können. Dann begann das Publikum wie verrückt zu klatschen. Es war offensichtlich sehr begeistert von meinem Auftritt.
Danach blieb ich – um Calvin Johnson noch zu sehen. Nach seinem Konzert kam er auf mich zu. Er lächelte und nahm mich zur Seite. «Weisst du, Adam», sagte er, «mit deiner Art musst du dich nicht wundern, wenn niemand mit dir arbeiten will.»
«Okay», sagte ich. Mehr nicht. Ich nahm seine Kritik einfach an. Ich hatte mich dem Publikum bewiesen und in Kauf genommen, mich vor meinem Idol zum Idioten zu machen. Aber es war mir egal. Ich brauchte kein Idol mehr. Ich wusste, dass ich selbst gut genug bin. Es war das Mutigste, was ich jemals in meinem Leben getan habe.
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