Ich war vor einigen Wochen beruflich für einen Tag in Berlin Mitte unterwegs und sah Männer-Dutts bis zum Abwinken. Immer wenn wieder einer dieser Haarknoten an mir vorbei wackelte, fiel mir dieses ikonische Anti-Kriegs-Plakat aus der Hippie-Ära ein, auf dem ein Soldat zu sehen ist, der von einer Kugel getroffen zu Boden sinkt. Darüber steht gross geschrieben: «WHY?» Warum wählt ein Mann eine Frisur, die in meinen Augen die sexuelle Aggressivität eines Wollknäuels ausstrahlt?
«Hohe Pfürzi-Dichte hier», schrieb ich per SMS in die Schweiz. Pfürzi ist Baseldeutsch für Dutt und klingt, zugegeben, etwas nach Furz. In anderen Dialekten sagt man Bürzi – ein Wort, das ich bisher nicht gekannt habe und das sich schön anhört. Ich sage es gerne vor mich her: «Bürzi, Bürzi, Bürzi…»
Wie auch immer: Man kann den Dutt zurzeit nicht ignorieren. Schweizer Männer tragen ihn genauso wie Hollywood-Stars. Wenn sogar Leonardo DiCaprio, der ausserhalb von Filmen sonst wie der grösste Spiesser herumrennt, seine Haare zu einem Knoten bindet, dann ist die männliche Version der Frisur, die einst den Frauen vorbehalten war, definitiv im Mainstream angelangt. Nur bei Managern und Politik hat sie sich noch nicht durchgesetzt. Ich sage: Go for it, Sergio Ermotti! Oder etwas realistischer: Go for it, Oskar Freysinger!
Wie konnte es zum Siegeszug des Männer-Dutts kommen? Meine Theorie: Mit langen Haaren kann man als Mann heute nicht mehr rebellieren, mit dem Brechen von geschlechterspezifischen Stereotypen schon. Plus: Einer, der sich traut, mit seiner weiblichen Seite zu kokettieren, kann beim anderen Geschlecht gut ankommen. Man denke an David Bowie. Ein Dutt bietet sich an. Ein Kerl, der ihn trägt, sagt: Ich bin mir meiner Männlichkeit so sicher, dass ich problemlos eine Ballerina-Frisur rocken kann. Je nach Ausprägung seiner Kerligkeit jedoch auch: Gib mir ein paar Spitzenschuhe und ich tanz dir den sterbenden Schwan!
Was kommt wohl als nächstes? Männer mit Ährenzopf oder einem Pagen-Schnitt à la Anna Wintour, Chefin der US-«Vogue»? Spass beiseite. Der Dutt strahlt auch noch mehr aus als Rebellion. «Etwas archaisches», sagt eine stilbewusste Freundin. Sie findet ihn deshalb sexy. «So der Ur-Mann, der keine Lust zum Haareschneiden hat, aber trotzdem etwas praktisches will.» Es ist sodann auch typisch, dass die grössten Kritiker des Dutts am Manne aus dessen eigenen Reihen stammen. Von Kurzhaarigen wie mir, die sich ausgestochen fühlen.
*Jonas Dreyfus arbeitet als Redaktor für «20 Minuten Friday» und als freier Journalist für Publikationen wie «SonntagsZeitung» (Kultur- und Trendbund) und «Das Magazin». Er ist in Basel-Stadt aufgewachsen und wohnt seit 15 Jahren in Zürich, wo er aufmerksam das urbane Leben beobachtet. www.jonasdreyfus.ch
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