«Tagesanzeiger», Veloblog
Mein bester Freund sagt, ich hätte ein Problem mit Frauen. Ein Problem mit Frauen auf Velos. «Wenn ich noch einmal jemanden mit High-Heels auf einem verlotterten Vintage-Rennvelo sehe, dann schreie ich», hatte ich zu ihm gesagt. Okay, ich gebe es zu: Ab urbanen Zürcherinnen, die ihre Zweiräder als modische Accessoires behandeln, kann ich mich köstlich aufregen.
Da gibt es diese Freundin, aus der Häuserbesetzer-Szene. In ihren Augen sind Velokuriere Sex-Götter schlechthin. Einer von ihnen hat für sie ein Vintage-Velo restauriert. «Single-Speed» natürlich, das heisst mit nur einem Gang. Normalerweise eignet sich so etwas für Kraftpakete mit Oberschenkeln in der Grösse von Zeppelinen. Obwohl mein Velokurier-Groupie jetzt jeweils gefühlte vierzig Minuten braucht, um von 0 auf 20 km/h zu beschleunigen, ist es im siebten Himmel. Denn cool aussehen tut das Teil. Vor allem, wenn man damit auf dem Kiesplatz beim Xenix herumsteht.
Die Linie für trendbewusste Zürcher (und deutsche Expats)
Oder meine Nachbarin: Zwei Mal wurde ihr ein rares Klapp-Velo aus den 1970er-Jahren am Bahnhof Oerlikon geklaut. Sie hatte beide nur mit einem Kabelschloss gesichert, das man praktisch mir einer Schere öffnen kann. Ihr Freund hat ihr jetzt ein richtiges Schloss gekauft. Gebraucht hat sie es noch nie, weil es «so schwer» ist und «so monströs aussieht».
Ich selbst habe mir vor zwei Jahren ein Stadt-Velo zugelegt. (Bitte nicht «City-Bike» sagen, die 90er sind vorbei.) Bei Zweiradgeber – einem Veloladen im Kreis 4, der eine Eigenlinie produziert, die bei trendbewussten Zürchern (und deutschen Expats mit nigelnagelneuen Freitag-Taschen) weggeht wie warme Weggli (respektive Semmeln).
Ich durfte die einzelnen Komponenten selbst aussuchen und muss sagen, dass es etwas vom Schönsten war, das ich in meinem Leben gemacht habe. Das Ergebnis ist ein capriblaues Velo mit gemufftem Stahlrahmen, das auf den ersten Blick auch einfach nur schön aussieht, vielleicht sogar etwas retro. Das aber unter anderem über zwei einwandfrei funktionierende Bremsen verfügt und modernste Technik verbirgt. Wie etwa eine Acht-Gang-Nabenschaltung von Shimano, mit der ich echt schnell vom Fleck komme.
Eine vergammelte Plastik-Tüte tarnt den Brooks-Sattel
«Mr. Capri» fährt sich absolut geräuschlos – sobald ein leises Schleifgeräusch zu hören ist, bringe ich ihn zum Mech. Praktisch und ästhetisch schliessen sich nicht aus. Ich habe kürzlich einen Front-Gepäckträger aus Chromstahl anbauen lassen, im Stil der alten Post-Velos. Damit habe ich schon einmal eine Kaffeemaschine transportiert. Im Moment denke ich über eine Klingel nach, weil ich am See schon mehrere Male fast einen orientierungslosen japanischen Touristen gerammt hätte.
Im Gegensatz zu meiner Nachbarin habe ich Schweissausbrüche, wenn ich mein Velo abschliessen will und keine geeignete Stange finde, um es zu befestigen. Den Brooks-Sattel, an den noch kein Tropfen Wasser gekommen ist, tarne ich mit einer vergammelten Plastik-Tüte. «Weisst du», gesteht mein bester Freund, der im Moment darüber nachdenkt, sich die etwas neuere Version desselben Schindelhauer-Bikes zu kaufen, das er bereits besitzt. In den Ferien im Ausland sei er manchmal erschrocken, wenn er morgens aufgewacht sei und sein Velo nicht wie Zuhause neben seinem Bett stand.
*Jonas Dreyfus arbeitet als Redaktor für «20 Minuten Friday» und als freier Journalist für Publikationen wie «SonntagsZeitung» (Kultur- und Trendbund) und «Das Magazin». Er ist in Basel-Stadt aufgewachsen und wohnt seit 15 Jahren in Zürich, wo er aufmerksam das urbane Leben beobachtet. www.jonasdreyfus.ch
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