Journalist

«Meine Wohnung ist mein Hundekorb»

In «Sonntagszeitung», Trend on 21. Oktober 2012 at 09:06

daheim_rico_zandonella_sozRico Zandonella, Chef der legendären Kunststuben, hat kein Problem mit Kitsch

Der Hausherr öffnet die Tür in Trainerhosen, Flipflops und einem T-Shirt seiner Lieblingsmarke Dsquared. «Ich war gerade im Fitness», sagt er. Im Wohnzimmer läuft laute House-Musik. Sie vermischt sich mit dem Lärm der Porsche Cayenne und Bentley, die auf der Seestrasse an der Zürcher Goldküste vorbeirasen.

Hier, in Küsnacht, wohnt Rico Zandonella in einer 65-Quadratmeter- Wohnung mit drei Zimmern – im ersten Stock des lachsfarbenen Giebelhauses, wo sich auch sein Arbeitsplatz befindet: die legendären Kunststuben. Dreissig Jahre hat der Tessiner dort an der Seite seines Vorgängers, des Hamburgers Horst Petermann, gekocht. Seit Anfang 2011 ist er selbst Chef. «Meine Wohnung ist mein Hundekorb», sagt Zandonella und knuddelt Eros, seine vergnügt grunzende Französische Bulldogge. Oft sitzt er mit ihm auf dem grossen Balkon, abgeschirmt von portugiesischen Kirschlorbeersträuchern, macht sich To-do- Listen für den Tag oder blättert durch Interior-Design-Bildbände. Gerne mit einem Tee in der Hand. «Ich habe mein Leben lang nie Alkohol getrunken.»

Jeden Samstag bringt eine Floristin imposante Sträusse

Er ist keiner, der mit der Tür ins Haus fällt. Wenn er erzählt, leuchten seine wachen Augen freundlich, scheinen aber auch zu signalisieren: «Bis hierhin und nicht weiter!» Im Esszimmer steht ein riesiger Holztisch mit nur zwei Stühlen. «Ich bin hier gerne alleine. » In der winzigen Küche gegenüber steht nicht mehr als ein Toaster, eine Kaffeemaschine und ein Wasserkocher. «Wenn doch einmal Gäste kommen, bereite ich das Essen unten zu und bringe es rauf.»

Im Wohnzimmer herrscht perfekt orchestrierte Gemütlichkeit, die immer wieder auf erfrischende Art ins Übertriebene abdriftet. «Over the top», wie es auf Englisch heisst. Zandonella: «Ich habe kein Problem mit Kitsch.» Von der Decke baumelt eine riesige Vintage-Discokugel. «Jedes Blättchen ist von Hand befestigt. Das hat man früher so gemacht.» Oder das Kettenhemd von Versace, das hinter Plexiglas an der Wand hängt: Er hat es vor 25 Jahren gekauft und ein einziges Mal für den Ausgang im Kaufleuten angezogen. «Es erinnert mich an meine Partyzeit.»

«Eine kleine Wohnung sollte man nicht auch noch mit kleinen Dingen einrichten», sagt der Spitzenkoch, an dem offensichtlich ein Innenarchitekt verloren gegangen ist. Alles ist überdimensional bei ihm, auch die Vasen. Jeden Samstag bringt eine Floristin imposante Sträusse. «Am liebsten habe ich Callas-Lilien. Ihre Form hat so etwas Art-déco-mässiges.»

Auch im Schlafzimmer geht es akzentuiert weiter: Auf dem Kingsize- Bett liegen bunte Zierkissen aus Kunstfell auf der schimmernden schwarzen Decke. Absoluter Blickfang: zwei auf silberne Sockel gepfropfte Schildkrötenpanzer. Sie ersetzen den lebensgrossen Hirsch aus Stein, der jetzt einen Stock tiefer im Restaurant thront. «Ich will Akzente setzen», sagt Zandonella. «Auch beim Kochen hasse ich es, wenn alles braun ist: das Fleisch, die Sauce. Rehfilet mache ich zum Beispiel mit konfitierten Randen.»

Die Mutter kämmte jeden Sonntag die Perserteppiche

Er sei schon als Teenager der Paradiesvogel seiner Familie gewesen. «Wenn ich ein blaues Outfit anhatte, war auch mein Moped blau. Ich habe es einfach umgespritzt, samt den Pneus.» Wie sah es denn bei ihm zu Hause in Ascona aus, wo er aufwuchs? «Bieder », sagt Zandonella. «Meine Mutter hat jeden Sonntag die Perserteppiche gekämmt, bis eines Tages nichts mehr von ihnen übrig war. Und wenn meine Eltern mir Kleider gekauft haben, hätte ich heulen können. Alles war braun und grau.»

Fürs Foto wird sich Zandonella später umziehen. Wer ihn schon einmal ausserhalb der Küche gesehen hat, weiss um den extravaganten Kleidungsstil des 51-Jährigen: Pailletten-besetzte Blazer in Pink, Cowboyboots aus Schlangenleder, überdimensionale Gürtelschnallen in Form kämpfender Tiere. «Ich trage Sachen, bei denen sich alle fragen: ‹Wer kauft so etwas?› », sagt er und lacht sein schallendes Stakkato-Lachen. Es ist diese Kühnheit, von der man sich genauso etwas abschneiden will wie vom Rehfilet mit den konfitierten Randen.

Koch für beste Häuser

Rico Zandonella, 51, begann als 14-Jähriger eine Kochlehre bei Spitzenkoch Horst Petermann im Hotel Ascolago in Ascona TI, seinem Heimatort. Nach kurzen Zwischenstopps in Toprestaurants wie dem Le Crocodile in Strassburg und dem Suvretta House in St. Moritz wurde er Sous-Chef seines ehemaligen Lehrmeisters, der 1982 die Kunststuben in Küsnacht übernommen und mit 19 «Gault Millau»-Punkten und 2 «Michelin»-Sternen an die Spitze der Schweiz gekocht hatte. Dreissig Jahre später heissen Petermanns Kunststuben Ricos Kunststuben. Zandonella hat das Restaurant Anfang 2011 gepachtet. Mit 18 «Gault Millau»-Punkten und 2 «Michelin»-Sternen zählt es zu den besten Restaurants in Stadt und Kanton Zürich.

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