Journalist

«Am liebsten hätte ich keine Möbel»

In «Sonntagszeitung», Trend on 8. August 2012 at 13:18

bild_granditsTanja Grandits wohnt in derselben Villa, in der sie arbeitet. Die Starköchin des Basler Restaurants Stucki könnte zu Hause auf einiges verzichten

Tanja Grandits setzt sich mit einer Latte Macchiato an den langen Holztisch in ihrem Wohnzimmer. «In diesem Raum spielt sich das Leben ab, wenn ich zu Hause bin», sagt die 41-jährige Deutsche in schwäbischem Dialekt. Sie wohnt seit vier Jahren in einer loftartigen Vierzimmerwohnung im obersten Stock der grossbürgerlichen Villa auf dem Basler Bruderholz, wo sich im Parterre auch gleich ihr Arbeitsplatz befindet: das Restaurant Stucki, ausgezeichnet mit 17 Gault-Millau-Punkten und einem Michelin-Stern. Es sei ein Vorteil, keinen Arbeitsweg zu haben, sagt Grandits. Spätestens seitdem sie zur «Köchin des Jahres 2006» ernannt wurde, ist sie eine vielbeschäftigte Frau. Am Morgen musste sie nach Freiburg fahren, um mit der Grafikerin das Verpackungs-Design verschiedener Gewürze und Tees zu besprechen, die demnächst in einer Mini-Boutique in der Garage des Restaurants verkauft werden. Danach brachte sie Tochter Emma, 6, zur Geigenstunde.

«Ich hätte am liebsten keine Möbel», sagt sie, auf ihre schlichte Einrichtung angesprochen. Mit 23 begann Grandits eine Kochlehre im Schwarzwälder Luxushotel Traube Tonbach. Seither lebt sie praktisch aus dem Koffer. «Ich habe mich daran gewöhnt, wenige Dinge zu besitzen.» Auch den Fernseher mag sie nicht. Den braucht nur ihr Mann René Graf, um nach der Arbeit abzuschalten. «Er schläft meistens dabei ein.» Grandits hat den St. Galler Koch in Frankreich kennengelernt und zwölf Jahre an seiner Seite gearbeitet. Heute kümmert sich der Gastronom beim Stucki um den Service und die Administration. Wenn er nicht wäre, gäbe es in der Wohnung keine weisse Wand mehr, sagtGrandits. «Er hat Einspruch erhoben, als ich streichen wollte. Ich liebe Farben – vor allem Pink und Rosa.»

Inzwischen hat sie den Milchschaum des Kaffee getrunken. Mit ihren zierlichen Händen hält sie die Riesentasse, mit denen sie sonst Speisen wie «in Tempura-Teig gebackenes Egli-Filet mit indischen Reis-Crispies, Ananas- und Senf-Mousse» kreiert. «Ich liebe es, Gegensätze zu kombinieren». Heterogen ist ihr Geschmack auch in Bezug auf Farben: So steht zwischen zwei schwarzen «Twiggy»-Stehleuchten von Foscarini ein mit kunterbunten Missoni-Stoffen bezogenes Sofa. Es erinnert an Backpacker-Ferien in Thailand, hat gemäss der Hausherrin aber 15 000 Franken gekostet. Drei Tage nach Lieferung kamen Freunde von Emma auf Besuch und bauten mit den bunten Sitz-Elementen eine Burg. «Mein Mann und ich haben kurz leer geschluckt, dann aber beschlossen, dass jeder an dem Möbel seine Freude haben soll.»

Es mag an ihrer verbindlichen Art liegen, an ihrem Charity-Engagement für Afrika oder daran, dass sie ihre Nachbarschaft mit übrig gebliebenen Desserts versorgt. Sicher ist: Die Basler lieben Tanja Grandits. Als sie im Frühjahr einen Hinterhof-Flohmarkt mit alten Möbeln und Geschirr organisierte, kamen über hundert Leute. Ist sie vielleicht so beliebt, weil sie das Erbe des verstorbenen Hans Stucki weiterführt, der dem Restaurant einst zu internationalem Ruhm verhalf? «Kann schon sein», sagt Grandits. «Für mich liegt das aber alles sehr weit zurück. Ich kannte ihn nicht persönlich.» Der Herd, an dem Stucki angeblich mit befreundeten Kochlegenden wie Paul Bocuse bis in die Nacht gekocht hat, steht heute in ihrer Privatküche. «Ich brauche ihn selten», sagt Grandits. Wenn man eine hochmoderne Küche mit Induktions-Herd in der Nähe hat, stelle man nicht mehr so gern «auf altmodisch» um. «Hinzu kommt, dass ich im Restaurant unten nicht abzuwaschen brauche», fügt sie hinzu. Dafür hat Tochter Emma eine eigene Kochnische.

Grandits nimmt den letzten Schluck Kaffee und macht sich auf den Weg, um ihre Tochter abzuholen. Am Nachmittag werden Casting-Leute vorbeikommen, die einen Werbespot mit Grandits drehen wollen. Abends wird sie bis elf Uhr in der Küche stehen und sich dann bis um zwei Uhr morgens im Arbeitszimmer zurückziehen, um über neuen Rezepten zu brüten. Bevor dann um sieben Uhr Morgens schon wieder der Wecker klingelt. «Ich brauche zum Glück nur fünf Stunden Schlaf.»

Chemie studiert und Kochbücher geschrieben

Seit vier Jahren kocht Tanja Grandits, 41, im Restaurant Stucki in Basel (17 «Gault Millau»-Punkte, 1 Michelin-Stern). Sie wohnt mit ihrer Familie direkt oberhalb ihres Arbeitsplatzes. 2006 wurde die Süddeutsche, die einige Semester Chemie studierte, vom «Gault Millau» zur Köchin des Jahres gewählt. Die gelernte Köchin arbeitete in renommierten Betrieben wie dem Claridges in London oder in Südfrankreich, wo sie ihren Mann, René Graf, kennen lernte. Grandits hat mehrere Kochbücher veröffentlicht, darunter «Schweizer Spitzenköche für Afrika», dessen Erlös dem Bau einer Schule in Äthiopien zugute kommt.

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