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HipPop

In «Sonntagszeitung», Kultur on 30. Oktober 2011 at 12:47

kutti_mc_eicher_soz-1Ein Projekt mit Potenzial: Stephan Eicher hat zusammen mit Kutti MC ein Album aufgenommen 

Mit grossen Schritten rauscht Stephan Eicher ins Hotel Greulich in Zürich. Sein schulterlanges Haar wippt lässig mit, sein Händedruck zur Begrüssung ist fest. Hinter sich her zieht er einen jungen Typen in rotem Anzug, der etwas nervös zu Boden blickt, zaghaft grüsst. Es ist Kutti MC, 31, Grenzgänger des Mundart-Rap. Er hat mit Eicher, 51, dem grössten Schweizer Chansonnier, ein Album aufgenommen.

Eicher bestellt für beide einen Espresso, für sich selbst dazu einen Fernet-Branca. Auch wenn der Eindruck täuscht: Eicher ist heute nicht die Hauptperson. Auf dem Gemeinschaftswerk «Freischwimmer» steht nur der Name Kutti MC. Eicher will im Hintergrund bleiben, auch wenn er für sich beansprucht, gleichermassen an Musik und Text beteiligt gewesen zu sein. Deshalb ist er auch mit zum Interview gekommen. Es wird aus lärmtechnischen Gründen in die schummrige Smokers-Lounge verlegt. Kutti schaut skeptisch: «Hier drin schalte ich sicher auf Nachtmodus.»

Kutti MC nennt sich Rap-Poet. Sein Debütalbum «Jugend & Kultur», auf dessen Cover er mit einem Meerschweinchen im Arm posiert, begeisterte 2005 das Feuilleton. In der Schweizer Hip-Hop-Szene fiel er jedoch grösstenteils durch. Zu lyrisch die Texte, zu ironisch der Auftritt. Nebenher trat er unter seinem richtigen Namen Jürg Halter als Dichter auf, was es nicht einfacher machte. Dass Kutti jetzt mit Eicher arbeitet, ist eine Chance: Keiner verkauft mit anspruchsvoller Mundart so viele Platten wie der Schweizer Popstar. Wenn Eicher-Fans auf Kuttis MCs neues Album aufmerksam werden, könnte es dessen erfolgreichstes werden.

Eicher: Niemand reimt spontaner als Kutti MC

Wie er mit geschlossenen Knien, dem bleichen Gesicht und der Brille neben Eicher auf der schwarzen Lederbank sitzt, wirkt Kutti MC wie ein Streber, der lieber mit Erwachsenen abhängt. Eicher lacht: «An seinem Nerd-Image arbeitet er hart!» Kutti sagt, von Menschen mit viel Lebenserfahrung könne er viel lernen. Etwa von Endo Anaconda von Stiller Has oder dem Fotografen Walter Pfeiffer, der ihn fürs Album-Cover inszeniert hat. «Und Stephan hat mich mit Texten wieder nach Hause geschickt, weil er sie noch nicht vollendet fand», fügt er an. «Das ist mir noch nie passiert.»

Man sei sich zufälligerweise über den Weg gelaufen, erzählt Eicher. Unter den Lauben in Bern, am 24. Dezember vor zwei Jahren. «Kurz vor Ladenschluss.» Er haben Kutti MC angesprochen: «Du, ich weiss, wer du bist. Ich schätze deine Arbeit.» Er kenne niemanden in der Schweiz, der spontaner reimen könne als Kutti MC. MC spricht er französisch aus: «Em See». Auf den bisherigen Alben fehlten laut Eicher jedoch die poetische Schnelligkeit und das spontane Fabulieren, das Kutti auf der Bühne «wie kein anderer in der Schweiz beherrscht». Deshalb habe er mit ihm ein Album mache wollen. «Eines, das live klingt.»

«Freiheit bedütet nit Glück, Freiheit heisst eifach, mir entscheide üs nit», reimt Kutti MC auf dem Eröffnungsstück «Freiheit» zum Echo einer hallenden E-Gitarre über ein Phänomen, das er an sich und seinem Freundeskreis beobachtet: «Wenn man sich immer alle Möglichkeiten offenhalten will, wird man sich nie für etwas entscheiden müssen.» Zu einem schleppenden Beat und dramatischen Klavierakkorden stellt er in «Hüt rägnets no einisch Gäld» das Finanzsystem infrage. Eicher singt den Refrain: «Scho morn het sich d Wält an üs verschlückt.» Es sind intime Songs, mit denen Kutti das Lebensgefühl seiner Generation auf den Punkt bringt, eine seiner Stärken.

Eine Woche verschanzten sie sich im Schloss

Aufgenommen wurde das Album mit einer Liveband in einem alten Schloss im Kanton Waadt. Mit Teppichböden und dicken Mauern. Eine Woche lang hat man sich hier verschanzt. Das Ergebnis ist das bisher beste Album von Kutti MC. Er hat seinen Sound gefunden und setzt sich damit definitiv vom Hip-hop ab: keine tanzbaren Nummern, wenig synthetische Beats, dafür viel warme Akustik, Melodie und Mut zur Ungeschliffenheit. Genau wie Eicher sich das gewünscht hat.

Die Rauchglas-Schiebetür der Smokerslounge öffnet sich, ein Kellner bringt Wasser, ein Schwall frische Luft dringt in den kahlen Raum. Eicher beschreibt wehmütig sein mit Büchern und Vinylplatten vollgestopften Arbeitszimmer in der Camargue, wo die Songideen fürs Album entstanden sind. Kutti reiste für diese «Sessions» acht Mal in den Süden Frankreichs. Eicher: «Am Anfang war das berühmte Blatt Papier.» Sie haben aufgeschrieben, was sie beschäftigte. Bei Kutti war es zum Beispiel der Umgang der Schweiz mit der Immobilienkrise, die damals herrschte, bei Eicher waren es die sozialen Spannungen in seiner Wahlheimat Frankreich. Zwischendurch verliessen sie ihr Labor, um mit Eichers Hunden Violet und Toto spazieren zu gehen. Kutti: «Am Ende des Tages machte jeder eine Zeichnung und zeigte sie dem anderen.» Was etwas therapeutisch klingt, ist auch so: «Wir sind passionierte Zeichner. Es hilft, die Dinge aufs Wesentliche zu reduzieren.»

Die offizielle Zeit des Interviews ist vorbei, Eicher verabschiedet sich mit einem intensiven Händedruck an die frische Luft. Kutti MC, nun allein, erzählt, wie unspektakulär seine Beziehung zu Eichers Musik sei. Als Teenager sei er zwar auf «Eisbär» von Eichers Neue-Deutsche-Welle-Band Grauzone gestanden, so richtig bewusst zu hören angefangen habe er dessen Musik jedoch erst vor ein paar Jahren. Dank seiner Kollegin Sophie Hunger, die ihm Eichers jüngstes Werk «Eldorado» vorspielte.

«Diese Kollaboration ist eine glückliche Fügung, ich habe mich nicht darum bemüht.», sagt Kutti. Eigentlich nicht erstaunlich, war er doch gerade mal elf Jahre alt, als Eichers erfolgreichstes Album «Engelberg» auf Platz eins der Schweizer Charts stand. Heute ist er genau so alt, wie Eicher damals war. Und steht vielleicht auch bald auf Platz eins.


Hip-Hopper und Popstar

Zwei aussergewöhnliche Figuren der Schweizer Popszene spannen zusammen: Der Rapper Kutti MC, auch bekannt als Dichter Jürg Halter, wuchs in Bremgarten bei Bern auf, studierte Kunst an der Hochschule der Künste Bern und gewann mit seinem ersten Gedichtband den Buchpreis des Kantons Bern. Stephan Eicher, in Münchenbuchsee BE aufgewachsen, besuchte die Kunstschule F + F in Zürich, wurde in Frankreich zum Popstar und reüssierte vor Jahresfrist mit der Musik zu Martin Suters Musical «Geri». Das Album «Freischwimmer», (Universal) erscheint am 4. November unter Kutti MCs Namen.

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